Lifestyle
Stephan Sonderegger, 43, Catering-Unternehmer und Koch

Mein Velo ist auch mein Therapeut

Aufgezeichnet von Christian Nill

Ein Velo ist für mich viel mehr als ein Sportgerät. Ich unternehme damit Reisen, lasse darauf die Seele baumeln. Es gibt mir Stabilität in hektischen Zeiten und hilft mir dabei, die Dinge zu ordnen. Es ist sehr nachhaltig und umweltfreundlich. Und, auf dem Velo habe ich Spenden gesammelt für meine Tochter, die 2012 mit einem Einkammerherz auf die Welt kam: Sie hat also quasi nur ein halbes Herz. Erstmals hatte ich diese Idee, meine Velotouren mit Spendensammeln für einen guten Zweck zu verbinden, als ich 2009 ans Schwarze Meer radelte. Für Pro Natura sammelte ich Rappen pro gefahrenen Kilometer.

Mit dem Velo etwas zurückgeben

Als meine Tochter dann einige Jahre später im Zürcher Kinderspital in Behandlung war, wusste ich, dass ich ebenfalls etwas beitragen wollte. Also organisierte ich eine Herz-Tour: Ich plante eine Strecke von rund 1’500 Kilometern. Pro Kilometer konnten Interessierte definieren, wie viele Rappen sie spenden möchten. Ich packte mein Velo dann – ausnahmsweise – in den Bus nach Prag und fuhr von dort durch Tschechien und via Deutschland wieder nach Hause.

So kam ein Betrag von 5’000 Franken zusammen. Meine Tochter zeichnete dann ein hübsches Bild, und wir übergaben den Betrag gemeinsam dem Kinderspital. Den Ärztinnen und Ärzten sowie dem ganzen Betreuungspersonal sind wir sehr dankbar für ihre Arbeit. Sie haben einen tollen Job gemacht! Heute geht es meiner Tochter sehr gut.

Radelnd Abschied nehmen

Wir fahren auch gerne mal alle Zusammen mit dem Velo in die Ferien: Nebst meiner Tochter kommt dann auch mein zwölfjähriger Sohn mit, den das Velofieber ebenfalls schon gepackt hat. Zum Beispiel geht’s dann der Aare entlang. Überhaupt liebe ich es, Flüssen entlang zu fahren. Ich habe Freunde im Saarland und in Köln. Da fuhr ich schon mehrmals dem Rheinufer entlang nach Norden, um sie zu besuchen. Leider ist mein guter Kölner Freund Mike vor zwei Jahren an Krebs gestorben. Ich hatte ihn immer auf meinem Tourenvelo besucht. Nun plane ich nochmals eine Veloreise nach Köln. Ich möchte mich auf diese Weise von ihm verabschieden. Unterwegs sein, in Gedanken sein, noch einmal bei ihm sein.

Neues Velo mit Platz für Ersatzschuhe

Dieses Projekt werde ich allerdings nicht mehr auf meinem Tourenvelo bestreiten, denn dieses habe ich während der Pandemiezeit verkauft. Es war schlicht nicht mehr so praktisch. Denn als Catering-Unternehmer und Koch habe ich nicht mehr so viel Zeit wie früher, als ich einfach mal mehrere Tage am Stück mit dem Velo verreisen konnte. Heute setze ich mich meistens nach der Arbeit aufs Zweirad und drehe meine Runden. Dafür ist ein Tourenvelo einfach zu schwer! Und als ich nach dem Verkauf einmal auf meinem Rennvelo Richtung Saarland fuhr, bremste mich eine Schotterpiste komplett aus. Keine Chance auf dem Renner! Aber weil ich den Speed, den man auf einem Rennvelo hat, liebe, aber man darauf abhängig von guten Strassen ist, kaufte ich mir meine neuste Errungenschaft: ein Gravelbike. Da kann ich sogar noch etwas mehr Gepäck mitnehmen als auf dem Renner. Da hat es dann auch noch Platz für ein Paar Ersatzschuhe. Das ist für den Ausgang etwas schicker.

Elektrovelos sind nicht so mein Ding

Neben dem Renner und dem Gravelbike haben wir auch noch ein Elektro-Lastenvelo für unser Catering-Geschäft. Mir ist es wichtig, dass wir so oft wie möglich von den Vorteilen von Velos profitieren. Ich hatte mir auch schon überlegt, in meinem Geschäft eine Art Anreizsystem zu kreieren, damit meine Angestellten mit dem Velo zur Arbeit kommen. Aber da stecke ich etwas im Dilemma: Wenn jemand mit dem e-Bike kommen wollen würde, hätte ich Mühe mit der Vorstellung, dass man auf einem klassischen Velo mehr leisten muss als auf einem elektrischen. Das sehe ich vielleicht etwas streng. Aber ich finde, wenn man gesund und fit ist, kann man doch auch ein normales Velo benutzen? Nachhaltigkeit ist für mich eben wichtig.

Das Velo als Ersatzlokomotive

Angefangen hatte meine Veloleidenschaft bereits als kleiner Knirps. Ich wuchs bei meiner Mutter ohne Vater auf. In Embrach führte ein Trottoir rund um unser Quartier, wir waren wie auf einer Insel. Da fuhren wir Kumpels mit unseren Velos herum, an denen wir immer herumschraubten und Anhänger ans Velo hängten. Dies auch deshalb, weil ich als Bub Lokifahrer werden wollte. Wir chauffierten uns gegenseitig durch die Gegend, das war ein Riesenspass!

Zwar wusste ich damals noch nicht, wie gut das Velofahren für Körper und Geist sein kann. Aber gespürt hatte ich es wohl schon. Später stiegen meine Kollegen aufs Töffli um. Das war damals bei mir nie ein Thema. Das lag auch daran, dass meine Mutter auf einem Bio-Bauernhof im Bernischen aufwuchs und das Thema Nachhaltigkeit schon immer sehr zentral war in unserer Familie. Ich fuhr meinen Kumpels dann halt einfach mit dem Velo hinterher.

Diese Vitalität!

Noch heute setze ich mich auf meinen Drahtesel, wenn ich mit einem Freund in Zürich etwas trinken gehe. Bei jedem Wetter. Ich habe mein Rucksäckli dabei, ziehe mich vor Ort um – und umgekehrt, wenn es später wieder zurück nach Boppelsen geht. Natürlich musste ich mich erst zu meinem Glück zwingen! Wenn es regnet und gerade mal ein Grad kalt ist, dann ist das natürlich nicht so lustig. Aber das sind Ausnahmen. Und ein Gewinn ist es sowieso jedes Mal, wenn ich wieder zu Hause ankomme. Wenn ich unterwegs mitten in der Nacht vielleicht noch Rehe und Füchse beobachten konnte; wenn alles ruhig und dunkel war und ich mental noch gewisse Dinge für mich klären konnte – in solchen Momenten spüre ich das Leben.

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