Lifestyle
Marco Giarrana, 39, Produkt-Designer

Fair soll es sein!

Aufgezeichnet von Cornelia Schlatter

Ich erinnere mich, dass ich am Anfang Velofahren gar nicht so lässig fand. Aufgewachsen bin ich in Horgen in einer Block-Siedlung. Da gab es viele Kinder und es war immer etwas los. Als wir immer öfters Velofangis gespielt haben, hat mir das plötzlich richtig Spass gemacht. Dabei bin ich immer weiter weggefahren. Soweit, dass mich die anderen Kinder gar nicht mehr fangen konnten. Da habe ich zum ersten Mal erfahren, wie schön es ist, mit dem Velo einfach drauflos zu radeln.

So richtig gepackt hat mich das Velo-Virus aber erst mit ungefähr zwölf Jahren. Mein damaliger Nachbar hatte bereits ein richtig gutes Mountainbike, aber wollte sich ein Besseres kaufen. Da habe ich meine Eltern so lange bearbeitet, bis sie einverstanden waren. Sie kauften für mich das vollgefederte Mountainbike des Nachbarn für 1’500 Franken. Das war damals richtig viel Geld. Vollfederung war Mitte der 90er-Jahre noch nicht Standard. Erst danach folgte der Mountainbike-Boom und der Markt explodierte völlig. In der Wäldern Horgens gibt es ein paar gute Trails. Dort bin ich das erste Mal über Wurzeln und Steine gescheppert. Seither hat meine Leidenschaft fürs Mountainbike und das Velo allgemein Bestand.

Velofahren ist Action

Erst mit 26 Jahren machte ich den Führerschein, weil ich es vom damaligen Arbeitgeber aus musste. Bis dahin hatte mir nie etwas gefehlt. Das Velo ist für mich bis heute das Transportmittel Nummer eins. Ich finde es einfach wahnsinnig praktisch und jede Velofahrt enthält für mich eine Dosis Spass. Auch wenn ich bloss in die Migros zum Einkaufen gehe, springe ich auch schon mal spontan mit dem Velo eine Treppe hinunter. Einfach so, weil ich es kann. Meine Sinne werden beim Velofahren ständig stimuliert. Dazu gehört auch Regen, Wind oder Hitze zu spüren. Beim Velofahren fühle ich mich richtig lebendig.

Zugegeben, auch mir ist alles manchmal etwas zu viel. Der Alltag mit all seinen Verpflichtungen und Dingen, die erledigt sein wollen. Und dann im Winter, wenn man sich aufwändig anziehen muss, um Velo zu fahren, mit Überschuhen, Handschuhen et cetera. Das braucht einfach viel Zeit. Aber wenn dieser Moment erst einmal überwunden ist und ich auf dem Velo sitze und in einen guten Flow komme, dann habe ich keine Gedanken mehr, dann gibt mir das Velo unglaublich viele good Vibes. Es ist einfach unglaublich, was ich nur mit meiner Muskelkraft und meinem zweirädrigen Vehikel alles schaffen kann. Bergab rausche ich locker mal mit 70 km/h. Und geradeaus rolle ich, wenn es gut läuft, selbst mit Gepäck mit 30km/h.

Hühnerhautmomente und ein guter Flow

Und dann gibt es auch immer wieder diese erhabenen Momente, wie wenn ich z.B. bei Sonnenaufgang über den Albis fahre. Begrüsst mich die rote, wärmende Sonne und der tiefblaue Zürichsee liegt in all seiner Pracht vor mir. Ich finde es dann einfach nur schön, die Natur und mich mitten drin zu spüren.

Ich habe die Ambition, immer fit genug zu sein, ohne dass das Velofahren zum «Kraftakt» wird. Somit kann ich stets in einem guten Flow fahren und ein gutes Tempo halten. Das wünsche ich mir auch für die Zukunft. Beim Velofahren brauche und spüre ich meinen Körper. Ich gehe gerne auch mal ans Limit, sowohl fahrtechnisch als auch physisch. Dieses Zusammenspiel von Mensch, Maschine und Technik finde ich faszinierend.

Insgesamt besitze ich rund zwanzig verschiedene Velos. Zehn bis zwölf davon fahre ich regelmässig. Ich fahre jeden Tag Velo, sei es, um meine Kinder oder Gegenstände zu transportieren oder für die 25 Kilometer zur Arbeit. Wie viele Kilometer da im Jahr zusammenkommen, weiss ich nicht, denn ich habe noch nie einen Velocomputer besessen.

Das Velofahren möchte ich gerne noch cooler machen, sodass es noch mehr zu einem erstrebenswerten Lifestyle wird.

Vom Sportvelofahrer zum Alltagsvelonutzer

Ich kann mir gut vorstellen, dass Jugendliche, die über den Velorennsport oder über das Mountainbiken zum Velofahren finden, später dann auch switchen und zu überzeugten Alltagsvelofahrern werden. Das wäre mein grosser Wunsch und wenn das gelingt, dann wäre ich sehr happy. Doch was kann ich dazu beitragen?

Mein Geschäftspartner und ich haben vor einigen Jahren ein Start-up gegründet. Wir finden Velofahren so schon hip, aber es muss auch fair und nachhaltiger werden. Das ist dann nochmals eine andere Liga. Unser Unternehmen stellt Velo-Nischenprodukte her, die komplett kreislauffähig sind. Das heisst, dass alle Teile auseinandergenommen und repariert werden können. Jedes Einzelteil kann am Ende rezykliert und wiederverwertet werden. Zudem sind wir sehr militant und ziehen unsere Firmenphilosophie von A bis Z durch. Von der Kartonschachtel, über das Klebeband bis hin zu einzelnen Schrauben: alles, was wir verwenden, wird fair und nachhaltig produziert.

Gut investiert

Erst wollte ich aus einer alten Sägerei ein schönes Wohnhaus bauen. Dann habe ich aber schnell gemerkt, dass das sehr kompliziert wird. Schliesslich habe ich mich entschieden, mein Geld in dieses Start-up zu investieren – und ich bereue es keinen Tag. Unsere Produkte kommen gut an, weil sie ein echtes Bedürfnis für viele Velofahrende sind. So liefern wir unsere Artikel in die ganze Welt, nach Japan, Brasilien, in die USA und sogar bis nach Tasmanien.

Info-Box Fair Bicycle

Das Start-up von Marco Giarrana und Valentin Wendel produziert ökologisch, nachhaltig und sozial fair Velo-Nischenprodukte, wie den DAILY HOOK, ein Spanngurt aus alten Veloschläuchen. Beide legen grossen Wert auf cradle to cradle, das heisst, dass alle Bestandteile unendlich oft in einen biologischen oder stofflichen Kreislauf rückgeführt werden können. Marco Giarrana ist gut vernetzt in der Velowelt. Seit Teenagerjahren arbeitet er in der Velobranche.

Während des Gymnasiums beispielsweise liess er sich von einem Bikeshop seinen Lohn stets in Veloteilen auszahlen. Das kleine Unternehmen ist selbsttragend und zielt darauf ab, stets genügend flüssige Mittel für neue Erfindungen zu haben und vielleicht in ein paar Jahren in der Lage zu sein drei bis vier Angestelltenlöhne bezahlen zu können.

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