“Polo” mit dem Wort “Bike” voran ist alles Andere als elitär. Feurige Velos ersetzen gesattelte Pferde, harter Untergrund den englischen Rasen. Und die Polo-Ausrüstung darf durchaus Marke Eigenbau sein.
Für die Sommer-Geschichte will ich mehr über dieses Polo auf Velos erfahren. Dazu besuche ich die laufenden Europameisterschaften hier in Zürich. Die besten Bike Polo-Teams, so hiess es, würden den Betonboden der Kunsteisbahn Dolder zum Glühen bringen! Kurz entschlossen packe ich mein e-Bike und den Fotokoffer und radle hoch zum Dolder.
Ein buntes Wimmelbild
Die Qualifikationsspiele sind bereits in vollem Gange. Die Sportarena betrete ich etwas zögerlich, offensichtlich von der falschen Seite her über ein weit geöffnetes Betreten-Verboten-Tor. Des regen Treibens wegen bin ich erstmal etwas erschlagen und versuche mich zu orientieren.
Drei grosse Spielfelder sind von gelben Schalungsplatten umrahmt. Auf diesen Courts agieren jeweils zwei Dreier-Teams. Ganz wie selbstverständlich spielen unter den Männern im Team erfreulicherweise auch viele Frauen mit. Geschickt versuchen die Polo-Spielenden mit Schlägern, auch Mallets genannt, einen Kunststoffball ins gegnerische Tor zu schiessen. Auch wenn der heftige, schnelle Wettkampf einen harten Eindruck hinterlässt, entdecke ich eine beeindruckende Verbundenheit zwischen den Spielenden. Woran das liegt, erfahre ich später.
Im roten ProVelo-Shirt treffe ich Dave. Auch er ist hier, um über den noch jungen Sport zu schreiben. Wir fragen nach dem Lead der Veranstaltung. Wir sollen da drüben nach “Remy” fragen, weist uns einer der Schiedsrichter quer über den Platz. Dort stehen ein paar grosse Sonnenschirme, eine Theke und eine Lounge aus mehreren Sitzgruppen.
Remy
Ein sportlicher, junger Mann trägt den einen Arm in der Schlinge. Remy begrüsst uns etwas überrascht aber gleichzeitig erfreut, dass gleich zwei Veloförderer über die Bike Polo-EM schreiben möchten. «Auch wenn dies die Europameisterschaft ist, es gilt immer noch als private Veranstaltung», erklärt uns Remy. «Man kennt sich, man ist international untereinander vernetzt. So ist es möglich, auch ohne bürokratisches Verbandswesen so einen Event zu organisieren. Dies hier kommerziell aufzuziehen», erzählt er uns weiter, «würde unseren finanziellen Rahmen sprengen. Es ist enorm schwierig, Sponsoren zu gewinnen. Eine grosse Baufirma hat dankender weise die Bauplatten für die Banden spendiert, was wiederum die Realisierung des Events ungemein vorwärts brachte.»
Wegen einem Schlüsselbeinbruch kann Remy nicht mitspielen. Als Organisator ist das ärgerlich. Trotz seinem Hemmnis wird er heute überall gebraucht und verabschiedet sich von uns. Alix, Mithelfer und selber auch Bike Polo-Spieler, steht uns geduldig zur Seite.
Für ein paar Bohnen
Für die Tournierwährung, ein paar Bohnen, gibt es an der Theke Cola oder Bier im Mehrwegbecher. Wer einen Latte Macchiato mit Schokostreusel bestellt, erhält ebenfalls Bier oder Cola im Mehrwegbecher.
Trotz der Nachmittagshitze geht es auf den Courts ungemein energiegeladen zu. Wer denkt, der langjährigen Fahrpraxis wegen gut Velofahren zu können, sei eines Besseren belehrt. Nun ja, ich formuliere es milde: Man hat nie ausgelernt! Wer gerade nicht mitspielt, verfolgt die Spielzüge von der Bande aus oder entspannt im Schatten der Lounge. Man diskutiert, fachsimpelt, scherzt und lacht. Hier geht es nicht bloss um Wettbewerb, sondern genauso sehr um Geselligkeit und Freundschaft.
Während dem Spiel kommt es häufig zum direkten Kontakt mit den Gegnern, der Bande oder dem Boden. Wer den Boden mit dem Fuss berührt oder foult, muss umgehend zum “Tap Out”. Mitspielen darf man erst wieder nach Abschlagen dieser Markierung an der Bandenmitte. Gespielt wird, bis ein Team fünf Tore erzielt hat oder die Spielzeit abgelaufen ist. Soviel zum Spielverlauf.
Variables Regelwerk
«Bike Polo ist nicht überreglementiert», bestätigt Alix. «Es gibt zwei wesentliche Regelwerke. Ein Europäisches und ein US-Amerikanisches. Das amerikanische Bike Polo setzt eher auf die Spielweise des Hockeys: Lange Pässe, mehr Taktik. In Europa mag man es körperbetonter, enger und härter. Die zehn weltbesten Teams sind fast ausschliesslich aus Europa.» Man spürt den Stolz darauf, wie er das sagt. Und ich denke, zurecht.
Beim Bike Polo gibt es einen Kodex
Es wird nicht in allen Städten nach denselben Regeln gespielt. Doch etwas scheint überall zu gelten: «Beim Bike Polo gibt es einen Kodex», verrät uns Alix. «Schwächere Spieler oder Teams auf dem Court lässt man nicht einfach 5 zu 0 verlieren. Schliesslich soll das Spiel allen Freude bereiten. Deshalb ist die wichtigste Regel: Don’t be a dick!»
Die Welt ist ein Dorf
Manche Spieler sind von weit her angereist, einer gar aus Australien. Inwiefern macht das Sinn? Alix klärt auf: «Lediglich zwei Spielerinnen oder Spieler im Team müssen aus dem Land kommen, für welches sie spielen. Beispielsweise im Team Frankreich sind mindestens zwei Franzosen plus einer aus Belgien, Spanien oder sogar aus Melbourne, Australien. Übrigens», fährt Alix fort, «sind Auswärtige stets willkommen, bei Spielern zu übernachten. Oft werden kaum Hotelbuchungen benötigt. Ein grosses Problem ist lediglich der Transport des Equipments. Im ÖV ist es schwierig, ein Velo mitzunehmen und für die Strasse zugelassen sind Polo-Bikes nicht.»
Definiere Polo Bike
Polovelos sind meist Singelspeed-Maschinen mit Freilauf. Gebremst wird mit einer Hand. Die Velos sind extrem kurz und wendig geschnitten, haben lediglich eine Scheibenbremse vorne und einen ungewohnt schmalen Lenker. Die Räder haben keine Schutzbleche, dafür einen stabilen Metallschutz für die Bremsscheibe. Damit der Ball nicht zwischen den Speichen durch huscht oder verklemmt, dürfen die Zwischenräume der Speichen verschlossen werden. Dafür sieht man die unterschiedlichste Konstrukte mit persönlicher Note. So gibt es kaum ein gleiches Bike wie das Andere.
Zum Polo Bike kommen ein Helm, gegebenenfalls Knie- oder Schienbeinprotektoren sowie Handschuhe und Schläger. Als Teamkennung rutscht noch das Mannschafts-T-Shirt oder gar ein Team-Hawaiihemd ins Gepäck. Mit etwas Flickzeug ist das Gute-Laune-Paket gerüstet.
Leere Versandrollen sind Schuld
Wiederentdeckt wurde Bike Polo Ende der Neunziger Jahre in Seattle. Velokuriere nutzten in auftragslosen Pausen leere Versandrollen von UPS, um ihrem Spieltrieb auf kleinen, leeren Hinterhöfen nachzugehen. Niemand hätte damals gedacht, dass diese Leidenschaft bald die ganze Welt umspannt. Doch wenn man sieht, wie viel Spass hier alle haben …
Es gäbe noch so viel zu entdecken. Ich fühle mich wohl hier, nein, zu schwach formuliert: Ich bin begeistert und muss dennoch weiter. Deshalb komme ich mit einem persönlichen Fazit zum Schluss:
Bike Polo ist rauh. Es ist schnell und auf Asphalt. Jeder kann mitmachen, egal welchen Geschlechts, welchen Alters oder Herkunft, alle per Du. Eine positive Gemeinschaft, eine Leidenschaft, die in den Metropolen rund um den Globus immer mehr Anhänger findet – vielleicht gerade weil sich dieses Polo bisher den Status einer Szene-Sportart erhalten konnte, bei der vor allem Spielfreude, Geselligkeit und Freundschaft im Vordergrund stehen.
Gute Velofahrt Ihnen allen und bleiben Sie gesund.