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Nr.100: Dörfs es bitzeli meh sy?

Text: Hannes Munzinger

Liebe Leserinnen und Leser

zur hundertsten Velo-Geschichte klopfen wir uns als Team der Fachstelle Veloverkehr weder gegenseitig auf die Schultern, noch legen wir die Hände in den Schoss. Weiterhin gehen wir entschlossen unseren Zielen entgegen, denn fürs Velo liegt noch so Vieles im Argen.

Sind Sie mit dabei? Helfen Sie uns, den Anstand bei Begegnungen im Alltag wieder selbstverständlich werden zu lassen, ganz egal, womit wir unterwegs sind. Es hilft nichts, mit gefährlichen Manövern Menschen im Verkehr zurecht zu weisen. Es hilft auch nichts, mit unangemessenem Verhalten im Verkehr Zeit zu sparen. Das Einzige, was uns im Gegenwartsgedränge wirklich hilft, ist gegenseitiger Respekt und sich die Zeit nehmen, die es nun mal braucht , um sicher von A nach B zu gelangen.

Wir danken herzlich für Ihre Treue und freuen uns auf viele weitere, spannende Menschen mit persönlichen Perspektiven hier im Magazin. Lieben Dank auch an das tolle Team hinter den Kulissen und hinter den Kameras. Ohne sie wären wir im Magazin noch nicht bei hundert Beiträgen angelangt. Ja und wer Lust hat, abonniere unseren neu gestarteten Podcast auf velo-geschichten.letscast.fm. Aber jetzt genug der Festlaune! Viel Spass mit der Velo-Geschichte № 100:


Definiere ausreichend Abstand

Sofern sich alle Verkehrsteilnehmenden korrekt und rücksichtsvoll verhalten, ist Velofahren zu Fuss gehen und keine Frage, auch Autofahren sicher. Nur miteinander funktioniert das dichte Verkehrsgefüge von heute. Korrektheit und Respekt sind edle Vorsätze mit dem unerschütterlichen Glauben an das Gute im Menschen. Dann fährt man hinaus auf die Strasse und begegnet dem Gegenwartsgedränge: Stau, Hupen, links und rechts wird überholt, einer fährt bei Rot vorbei, Hund an der Langleine, bremsen, Lärm, Gestank, immer habe ich Rot, upps Grün, erschrecken ab Huperei, gedanklicher Stinkefinger und je nach Gemütsverfassung sind die letzten, guten Vorsätze von Bord.

Genau jetzt haben wir die Betriebstemperatur, um unsere Feindbilder zu schärfen. Dabei entstehen «Liebesbekundungen», wie Auto-Jakobiner oder Schattenparkierer, sehr beliebt, der Velo-Rowdy bis zum Smombie, dem unkontrolliert schlurfenden Smartphone-Zombie, welcher ohne aufzuschauen auf die Strasse läuft. Dann wirft man sich Nettigkeiten an den Kopf, um sich wieder in der Abkühlphase zu finden, bis der nächste Blitz einschlägt.

Liebe Menschen unterwegs

Vielleicht ist es an der Zeit, aufzuklären. Strasse, Trottoir und Veloweg sind kein rechtsfreier Raum. Halten Sie sich bitte an die Regeln.

Verplemperte Zeit im Strassenverkehr aufzuholen, fordert zu oft Menschenleben. Zwar lernten wir schon als Kinder, dass alles, was Räder hat, schnell sein muss. Angepasste Geschwindigkeit, sich selbst auch mal zurückzunehmen und sich nicht stressen lassen, sind entscheidende Faktoren für ein korrektes und respektvolles Miteinander. Eigentlich ganz klar, müsste man meinen. JEIN, das ist es eben nicht. Zu geringer Abstand führt gerne zu gefährlichen Situationen.

Überholmanöver Auto zu Velo und Velo zu Fussgänger

Wir alle brauchen Distanz zu Fremden, um uns autonom und wohl zu fühlen. Wird unsere persönliche Zone von etwa einem Meter um uns herum dauernd verletzt, ist uns unangenehm. Stress gibt es unter etwa 40 cm. Zwar steht im Strassenverkehrsgesetz, dass beim Überholen ein «ausreichender Abstand» zu wahren sei und «besonders Rücksicht» genommen werden müsse. Wer im Alltag Velo fährt, erlebt regelmässig, wie unterschiedlich dieser Ermessensspielraum ausgelegt wird. Abstände unter fünfzig Zentimetern sind rücksichtslos. Vor allem im Stadtverkehr passt manchmal bloss noch eine Hand breit zwischen Lenker und Motorfahrzeug.

Selbstverständlich müssen auch Velofahrende Abstand halten. Zufussgehende sind keine Slalom-Pfosten, die man eng schneiden darf. Nähert man sich mit dem Velo von der abgewandten Seite, wirkt ein freundliches «Grüezi» Wunder. Und auch hier. Nehmt in Mischzonen bitte Tempo raus. Wenn Eltern ihren Kindern mit besorgter Stimme «Achtung, es Velo!» zurufen müssen, läuft etwas falsch.

Griffige Regeln zum Puffer zwischen Velo und Auto

Im umliegenden Ausland ist man mindestens einen Meter weiter. Soviel beträgt der einzuhaltende Mindestabstand beim Überholen von Velos beispielsweise in Frankreich, und das gilt bereits seit 1958. Ausserorts sind es wegen der höheren Geschwindigkeiten ein Meter fünfzig. Deutschland und Österreich gelten 1.50 Meter innerorts und 2 Meter ausserorts. Aber wir wollen hier jetzt nicht langweilen mit Regelungen im Ausland. Fakt ist, dass ein bis anderthalb Meter als Mindestüberholabstand von Velofahrenden auch der Schweiz gut zu Gesicht stehen dürften. Und weil wir nichts dergleichen haben, bieten wir in der Folge geeignete Verhaltenstipps.

Tipps für Velofahrende

  • Fahren Sie besser mit dem Velo nicht ganz am Strassenrand. Halten Sie einen Abstand von mindestens 70 Zentimeter. So werden Sie eher wahrgenommen und respektiert. Werden Sie trotzdem knapp ünerholt, können Sie mindestens nach rechts ausweichen.
  • Halten Sie den Randabstand auch an engen Stellen ein. Nur so werden Sie an Engstellen, beispielsweise an Fussgängerinseln vorbei, nicht überholt.
  • Fahren Sie mittig auf den Kreisel zu und bleiben Sie in der Mitte der Spur im Kreisel. Das ist erlaubt und gar offiziell empfohlen. Nur so werden Sie im Kreisel nicht überholt.
  • Fahren Sie von der abgewandten Seite beispielsweise auf spielende Kinder zu, machen Sie durch Klingeln oder Rufen auf sich aufmerksam, bis Sie sicher sind, dass Sie wahrgenommen wurden.

Tipps für Autofahrende

  • Halten Sie besonders bei Kindern viel und grosszügig Abstand. Besiegen Sie den Überholzwang, denn Kinder und Ungeübte halten oft nicht ihre Spur.
  • Rechnen Sie auch bei Erwachsenen mit plötzlichen Schlenkern. Oft zieren den Strassenrand Scherben, Abfall, Steine oder Schlaglöcher, denen man ausweichen muss.
  • Überholen Sie nicht vor unübersichtlichen Kurven oder bei Gegenverkehr. 

Ungeachtet dessen, womit Sie unterwegs sind, überholen Sie stets mit dem Abstand, in welchem Sie gerne überholt würden. Und sollte der Platz zu knapp sein, bleiben Sie auch mal hinten. Überholen Sie erst, wenn es reichlich Platz hat. Damit leisten Sie einen grossen Beitrag für ein entspanntes, konfliktfreies Verkehrsklima.

Was haben wir gelernt? Abstand ist Anstand. Geht doch, oder? Gute Fahrt Ihnen allen!

Infobox:

Gesetzesartikel 35 SVG

1 Es ist rechts zu kreuzen, links zu überholen.

2 Überholen und Vorbeifahren an Hindernissen ist nur gestattet, wenn der nötige Raum übersichtlich und frei ist und der Gegenverkehr nicht behindert wird. Im Kolonnenverkehr darf nur überholen, wer die Gewissheit hat, rechtzeitig und ohne Behinderung anderer Fahrzeuge wieder einbiegen zu können.

3 Wer überholt, muss auf die übrigen Strassenbenützer, namentlich auf jene, die er überholen will, besonders Rücksicht nehmen.

4 In unübersichtlichen Kurven, auf und unmittelbar vor Bahnübergängen ohne Schranken sowie vor Kuppen darf nicht überholt werden, auf Strassenverzweigungen nur, wenn sie übersichtlich sind und das Vortrittsrecht anderer nicht beeinträchtigt wird.

5 Fahrzeuge dürfen nicht überholt werden, wenn der Führer die Absicht anzeigt, nach links abzubiegen, oder wenn er vor einem Fussgängerstreifen anhält, um Fussgängern das Überqueren der Strasse zu ermöglichen.

6 Fahrzeuge, die zum Abbiegen nach links eingespurt haben, dürfen nur rechts überholt werden.7 Dem sich ankündigenden, schneller fahrenden Fahrzeug ist die Strasse zum Überholen freizugeben. Wer überholt wird, darf die Geschwindigkeit nicht erhöhen.

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