Keine Tomaten kamen zu Schaden beim Bau dieser Strasse
Wie faszinierend Bauen sein kann, wussten wir schon als Kinder. Kaum etwas war damals so spannend, als wenn irgendwo grosse Maschinen daher rollten, man hinter dem Lattenzaun hervor lugend das Treiben verfolgen und die Zeit komplett vergessen konnte. Daran musste ich denken, als uns die Bilder einer aussergewöhnlich roten Strassenbaustelle erreichten. Doch alles der Reihe nach und auf Anfang.
Entlang der Autobahn A1 verläuft ein Teil der Veloschnellroute Nummer 4 aus Richtung Kemptthal ins Stadtzentrum Winterthur. Aufgrund der ohnehin anstehenden Erneuerungsarbeiten bot sich dem städtischen Tiefbauamt die Gelegenheit, den Veloweg auf einer Länge von rund 700 Metern gemäss ihrer Vorgaben1 einer Veloschnellroute auszugestalten. So realisierten sie kurzum den ersten roten Teppich für Velofahrende, einen roten Deckbelag im Kanton Zürich.
Auch im Rest des Kantons soll künftig eine besondere Gestaltung auf Veloschnellrouten hinweisen. Da sind sich die Experten einig. Das Vorhaben in Winterthur profitierte von der Zusammenarbeit mit einem Belagslabor. Zudem wurden Erfahrungen aus den Niederlanden einbezogen. Denn dort gehören eingefärbte Radwege seit vielen Jahren zum Standard.
Wo liegen die Vorteile eines roten Deckbelages?
- Die Färbung einer Alltagsveloroute schafft simple Klarheit. Statt einem Wirrwarr von Pfeilen und abgrenzender Bodenmarkierungen wird die Fläche selbst zur Markierung.
- Gestaltungselemente am Boden sind für Velofahrende besser sichtbar als Elemente auf Höhe der Verkehrstafeln.
- Eine deutlich wahrnehmbare Veloführung erleichtert die Orientierung und erhöht die Wiedererkennbarkeit enorm
- Da sich die Farbe deutlich vom übrigen Strassennetz abhebt, gilt die bessere Orientierung nicht bloss für Velofahrende.
- Der eingefärbte Belag stärkt die Bedeutung der höchsten Hierarchiestufe2 entsprechend einem roten Teppich für Velofahrende.
- Die Einfärbung kann in Kombination mit einer städtischen oder regionalen Marke aufwarten und damit einen zusätzlichen Beitrag zur Veloförderung leisten.
Für den Veloverkehr braucht es möglichst unterbrechungsfreie und sichere Velorouten. Dazu zählen die Veloschnellrouten mit ihrer höchsten Routenkategorie, bisher nur als Pilotprojekte in Planung. Sie verbinden Regionen und bilden einen sicheren Korridor für den Veloverkehr der Zukunft. Die Einfärbung ihres Deckbelages ist dabei ein bedeutendes und selbsterklärendes Gestaltungsmittel.
Was ist drin im roten Teppich?
Was ist drin in der Mischung, für die sich Winterthur entschieden hat? Tomatenmark? Rote Beete? Wir haben nachgefragt. Der rötliche Deckbelag misst übrigens etwa 30 Millimeter. Die Mischung besteht aus roten Steinchen, die von speziellem, farblosem Bitumen umhüllt wird. Mineralisches Farbpigment ist darin der grosse «Farbgeber». Bei normalem Asphalt wäre das Bitumen schwarz. Farbloses Bitumen ist zwar teurer. Aber dank der roten Steinchen soll durch die Beanspruchung des Belages die Farbwirkung auf lange Sicht erhalten bleiben.
Kostet das mehr als es hilft?
Im Vergleich zu einer herkömmlichen, schwarzen Deckschicht kostet die Rote rund das 2.5 fache. In Relation zum Nutzen ist das jedoch gerechtfertigt. Einerseits ist der volkswirtschaftliche Nutzen von Veloschnellrouten schon mehrfach positiv ausgewiesen worden. In den Kosten-Nutzen-Analysen kommt man in unterschiedlichen Szenarien stets auf das gleiche Resultat. Veloschnellrouten lohnen sich, selbst im schlechtesten Szenario, wenn der Veloverkehrsanteil nicht zulegen würde. Andererseits will der Kanton Zürich mit Veloschnellrouten den Veloverkehr bündeln und überregional führen. Damit wird dem Veloverkehr eine klare Rolle zugesprochen, einen grösseren Anteil am Gesamtverkehr zu übernehmen. Das wiederum verringert die signifikant hohen, externen Kosten des motorisierten Individualverkehrs.
Warum in Rot?
Für die Stadt Winterthur können wir das nicht beantworten. Im Bezug auf visuelle Sprache jedoch schon. Rot ist erst einmal optisch, auch als Fahrbahnfarbe, äusserst attraktiv. Grün wie Kunstrasen oder hellgrün wie Pistazienglacé funktioniert als Fahrbahnfarbe eher mässig. Selbst blau wirkt farblich wie ein seltsam künstlicher Himmel am Boden. Beides ist wenig einladend. Rot ist von Natur aus Warnung und Anziehung zugleich. Stünde Rot für «Willkommen Velofahrende», erkennen das Verkehrsteilnehmende als Veloinfrastruktur der höchsten Kategorie.
Wofür dient dieser Pilot?
Das Tiefbauamt der Stadt Winterthur erhofft sich einen umfassenden Erkenntnisgewinn. Auch die kantonalen Fachgremien sind daran sehr interessiert. Neben der Qualität und der Langlebigkeit des Belags steht besonders die anhaltende Farbwirkung im Vordergrund. Darüber hinaus konnten mit dem Pilotprojekt und kleinen, baulichen Massnahmen örtliche Lücken in der Veloverbindung geschlossen werden.
Wird es mehr davon geben?
Bei Eignung werden in der Stadt Winterthur auf ausgewiesenen Veloschnellrouten weitere Belagseinfärbungen folgen. Wie das auf kantonalen Veloschnellrouten gehandhabt wird, ist zur Zeit noch in Ausarbeitung. Aus fachlicher Sicht ist die Belagseinfärbung jedenfalls durchaus sinnvoll.
Gute Velofahrt Ihnen allen.
Infobox «roter Deckbelag»
1 Vorgaben für die Ausgestaltung kantonaler Veloschnellrouten sind noch in Ausarbeitung. Die beiden Städte Zürich und Winterthur besitzen Planungshoheit, weshalb städtische Gestaltungselemente durchaus zweckmässig sind. Koordinierend pflegen die kantonalen Fachstellen eine enge Zusammenarbeit mit den Städten, Gemeinden und allen anderen Wegbereitern.
2 Liegt der Fokus auf dem Alltagsveloverkehr, zählen zur Zielgruppe Velofahrende auf dem Weg zur Arbeit, zur Ausbildungsstätte, zum Sport oder zum Einkauf. Deshalb basiert der Velonetzplan des Kantons Zürich auf Nachfrage- und Potenzialabschätzungen, welche für alle Gemeinden und Zentren erstellt wurden. Für die Veloinfrastruktur der Zukunft sind folgende drei Hierarchiestufen vorgesehen:
• Veloschnellrouten, als höchste Ausbaustufe, (bisher als Pilotprojekte)
• Velohauptverbindungen und
• Velonebenverbindungen
Bilderquelle
Fotografien mit freundlicher Genehmigung der Brossi AG Winterthur und dem Tiefbauamt der Stadt Winterthur. Vielen Dank dafür!