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Silvan Kunz, 35, Primarlehrer

Ich pedaliere lieber ohne Sattel

Text: Cornelia Schlatter, Fotos: Mischa Scherrer, Film: Nathan Klingspoor

Angefangen hat alles mit Knieschmerzen vor ein paar Jahren. Ich wollte der Sache auf den Grund gehen: Warum habe ich diese Knieprobleme? Die Ursache dafür war schliesslich eine Muskelverspannung im unteren Rückenbereich.

Meine Tage waren durch langzeitiges Sitzen geprägt. Ich fing an, mir Gedanken über meine Gesundheit zu machen. Wie kann ich mehr Mikrobewegung und ganz allgemein Bewegung in meinen Alltag bringen? Es wurde mir bewusst, wie wichtig Beweglichkeit und Stretching sind. Dem wird viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Kraft und Muskeln kann man auch mit 50 noch trainieren und erzielt gute Resultate. Beweglichkeit muss man sich jedoch von Jung an bewahren. Wenn man älter wird, ist das nicht mehr so einfach zu erlangen.

Stehen statt Sitzen

Ich liess mich im zweiten Bildungsweg zum Primarlehrer ausbilden und habe vor Kurzem meine erste Klasse übernommen. Das viele Sitzen im Klassenzimmer erachte ich als Problem. Für mich ist es sehr wichtig, dass die Kinder immer wieder andere Sitzpositionen einnehmen. Auch meine Bachelorarbeit an der Pädagogischen Hochschule habe ich diesem Thema gewidmet. Ich denke, die Schülerinnen und Schüler nehmen wahr, dass ich sehr sportlich bin. Ich möchte Ihnen ein gutes Vorbild sein und sie ermutigen, etwas auch mal kritisch zu überdenken, ohne ihnen etwas aufzuzwingen.

Um mein Problem zu lösen, habe ich nach einer Alternative für mich gesucht, welche mir erlaubt, mich fortzubewegen, ohne nach einem langen Tag am Bürotisch nochmals sitzen zu müssen. Beim normalen Velofahren wird die untere Wirbelsäule relativ stark komprimiert. Während meiner Recherche bin ich auf den Streetstepper gestossen – ein Velo ohne Sattel.

Fortbewegung als leichtes Outdoor-Training

Seit anderthalb Jahren bin ich schon mit dem sattellosen Gefährt in Zürich unterwegs. Ich schätze vor allem die aufrechtstehende Haltung und das angenehme, rückenschonende Fahrgefühl. Es sind qualitativ hochwertige Bewegungen, die vor allem für Menschen mit Rückenproblemen geeignet sind oder für Menschen, die nicht noch mehr sitzen sollten, als sie es bei der Arbeit schon tun.

Silvan Kunz; Velo Geschichte;

Für mich war das Velo oder jetzt der Streetstepper stets ein Transportmittel und nicht ein Sportgerät. In meiner Freizeit fahre ich mit dem Streetstepper oft zu meinem Trainingsort, dem Street Workout Park beim Irchel. Wenn ich dort ankomme, bin ich aber dank dem Stepper schon aufgewärmt und kann gleich mit meinem Calisthenics-Training loslegen.

Manchmal fühle ich mich ein wenig als Pionier.

Velofahren oder eben Streetstepper fahren bedeutet für mich nachhaltige Gesundheit, aussergewöhnliches Fahrerlebnis und erzeugt auch Aufmerksamkeit. Denn der Streetstepper ist noch weitgehend unbekannt. In den anderthalb Jahren, in denen ich nun schon mit meinem speziellen Zweirad in Zürich unterwegs bin, habe ich bloss zwei weitere Streetstepper gesehen.

Das Velo neu erfinden

Der Streetstepper fällt auf, die Leute drehen sich um oder sprechen mich sogar darauf an. Es gab dadurch schon viele schöne Begegnungen und gute Gespräche. Am Anfang war mir die Aufmerksamkeit unangenehm. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt. Es fällt mir jetzt leichter, weil ich weiss, dass ich mit dem Streetstepper für mich die richtige Entscheidung getroffen habe. Manchmal fühle ich mich ein wenig als Pionier. Dies drückt es am treffendsten aus, wie es sich anfühlt, wenn dir die Leute nachschauen. Ich gebe gerne Auskunft und lasse die Menschen den Streetstepper auch mal ausprobieren.

Manchmal denke ich, es würde uns guttun, einen kritischeren Blick auf das Velo zu werfen. Vielleicht wäre es lohnend, mal einen Schritt zurückzumachen und das Konzept Velo neu zu überdenken? Die einzelnen Komponenten könnte man neu mischen und andere weglassen, wie beispielsweise den Sattel – sitzende Mobilität sollte durchaus kontrovers betrachtet werden.

Velofahren in Zürich ist zu wenig intuitiv

Auf meinen Wegen durch Zürich fällt mir immer wieder auf, wie verschlungen und lückenhaft die Velowege sind: Es ist manchmal ganz schön herausfordernd zu merken, wo diese entlangführen. Zuerst der Strasse entlang, dann über eine Kreuzung, in ein Nebenquartier und plötzlich münden die Velowege wieder in die Hauptstrasse ein. Es ist nicht gerade intuitiv, in Zürich Velo zu fahren, hier würde ich mir manchmal mehr Klarheit wünschen.

Nebst dem Streetstepper habe ich noch den Pedalflow, eine Art Trottinett mit Pedalen entdeckt. Dies ermöglicht mir die ideale Kombination von selbst fahren und pendeln mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Ich wohne in Zürich, arbeite in Uster und trainiere oft in Urdorf. Der Pedalflow ermöglicht mir, die Distanzen ziemlich kurz zu halten, weil ich nicht zu Fuss gehen muss. Zudem kann ich den Pedalflow platzsparend zusammenklappen und muss im ÖV keinen Zuschlag bezahlen, da es als Handgepäck gilt.

Nebst dem gesundheitlichen Aspekt, der mir sehr wichtig ist, haben Streetstepper und Pedalflow für mich zusätzlich einen positiven Aspekt: Umwelt und Finanzen.

Tanz auf den Pedalen – Gesundheit und Fitness als Lohn

Wenn ich mit dem Streetstepper unterwegs bin, höre ich oft Musik. Da komme ich so richtig in einen Flow und es motiviert mich sehr. Man kann die Bewegungen auf dem Streetstepper dem Takt und Rhythmus der Musik anpassen. Es ist wie Tanzen. Das finde ich ziemlich cool.

Oft überlege ich mir aber auch bewusst, ob ich mich überhaupt von Musik «ablenken» lassen möchte. Beim Streetstepper fahren den Gedanken nachzuhängen ist sehr wertvoll, es ist gut für die Psyche und beruhigt den Verstand ungemein.

Es wäre schön, in Zukunft noch mehr Streetstepper in- und ausserhalb von Zürich anzutreffen.

Infobox: Was ist Calisthenics?

Calisthenics ist ein intensives Körpertraining im Freien, bei dem in der Regel mit dem eigenen Körpergewicht trainiert wird. Zusatzgewichte, Geräte oder Maschinen, wie beim klassischen Krafttraining im Fitnessstudio, werden in der Regel nicht benötigt.

Das Ziel von Calisthenics ist, die Kraft, Beweglichkeit und Körperkontrolle zu verbessern, Muskulatur aufzubauen und besser durchtrainiert zu sein. Dieses Training fördert nebenbei die inter- und intramuskuläre Zusammenspiel und stärkt das Herz-Kreislaufsystem.

Calisthenics wird in und um Zürich vor allem in Street Workout Parks praktiziert.

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