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Pamela Axt, 31, Betreuerin von Menschen mit einer Autismus Spektrum Störung

Velofahrend lernt man Land und Leute am besten kennen.

Aufgezeichnet von Cornelia Schlatter

Von Südafrika nach Zürich direkt auf den Velosattel

Ich bin vor etwas mehr als fünf Jahren nach Zürich gezogen und habe mir als eine meiner ersten Handlungen ein Velo gekauft. Ich bin halb Deutsche, halb Taiwanerin. Geboren bin ich in Taiwan, aufgewachsen aber in Südafrika. Die gemeinsame Sprache meiner Eltern war Englisch; sie wollten, dass wir in einem Land leben, in dem Englisch gesprochen wird. Nach dem Ende der Apartheid, 1994, wurde Südafrika plötzlich sehr offen und für viele Menschen ein attraktiver Ort zum Wohnen und Arbeiten.

Als Kinder fuhren wir einfach zum Spass Velo. Es kam auch vor, dass unsere Velos aus dem Garten gestohlen wurden. Ich stamme nicht aus einer traditionellen Velofahrer-Familie, das geht in Südafrika auch nicht so gut. Ich wuchs in Johannesburg auf, diese Stadt hat keine Veloinfrastruktur, nicht mal eine für Fussgänger. Ausserdem ist die Stadt sehr zersiedelt und alles liegt weit auseinander. Nicht zu unterschätzen ist auch die Kriminalität, die aufgrund der grossen Armut dort herrscht.

Mit dem Velo die Welt «erfahren»

Ich mochte Velofahren immer sehr. Auf meinen vielen Reisen durch die Welt habe ich stets jede Gelegenheit beim Schopf gepackt, um möglichst viel mit dem Velo zu «erfahren». Auf keine andere Art und Weise kann man ein Land und die Leute besser kennenlernen als mit dem Velo. Man ist automatisch viel näher und begegnet sich anders. Für sieben Monate lebte ich in Sydney. Auch dort fuhr ich regelmässig Velo.

Wenn man noch nie in einem anderen Land als der Schweiz gewohnt hat, ist man sich der sauberen Luftqualität gar nicht bewusst. Für mich ist das immer noch keine Selbstverständlichkeit. Die saubere Luft geniesse ich auf all meinen Fahrten. Ich wünsche mir, dass auch die nächste Generation noch gut leben kann und trage gerne dazu bei, dass die Luftqualität gut bleibt. Zürich ist für mich eine kleine, überschaubare Stadt und deshalb ideal, um dort mit dem Velo unterwegs zu sein. Das Velo ist für mich einfach das schnellste, einfachste und ökologischste Transportmittel. Ich schätze es sehr, damit so flexibel zu sein, ohne mich um einen Fahrplan oder einen Parkplatz kümmern zu müssen.

Ausserdem bietet das Velo eine unglaubliche Flexibilität und Spontanität. Mit dem Velo unterwegs zu sein bedeutet oft, dass der Weg das Ziel ist. Es bietet mir den Luxus, am Zürichsee oder Greifensee anzuhalten, wenn immer ich Lust dazu habe. Ich empfinde es als grosses Privileg in einer Stadt mit einem so schönen See leben zu dürfen. Man kann nach einem anstrengenden Tag einfach mal die Füsse ins Wasser tauchen und dabei die Seele baumeln lassen. Diese Möglichkeit macht das Velofahren in Zürich und Umgebung besonders schön und aussergewöhnlich.

Fitnessstudios sind nicht mein Ding

Ich bin ein totaler Bewegungs- und Kardiomensch. Ich liebe Schwimmen, Joggen und eben auch Velofahren. Fitnessstudios sind nicht so mein Ding, ich bewege mich gerne draussen. Seit ich in der Schweiz bin, setze ich auch sportmässig aufs Velo. Am liebsten fahre ich über Pässe. Es gibt mir ein gutes Gefühl, oben zu stehen, die Aussicht zu bestaunen und danach eine rasante Abfahrt zu geniessen.

Mit dem Alltagsvelo fahre ich in die Stadt für Termine und Besorgungen und mit dem Rennvelo geht es über Pässe, dem Zürichsee entlang oder zu meiner Arbeitsstelle nach Oberdürnten. Ich arbeite als Betreuerin in einem Heim für Menschen mit einer Autismus Spektrum Störung. Mein Arbeitsweg ist 40 Kilometer lang und ich muss dabei 620 Höhenmeter überwinden. Velofahren entspannt mich, ist gesund und gibt mir ein gutes Gefühl von Freiheit. Es gibt nichts Besseres, um von der Arbeit herunterzufahren, als aufs Velo zu steigen; man ist dann mit sich allein, hat Zeit für sich und kann abschalten.

Motorräder sollten nicht zwischen Velos parkiert werden dürfen. So habe ich mir mal mein Bein an einem heissen Auspuff heftig verbrannt!

Velofahren als wesentlicher Lebensinhalt

Wenn ich aus irgendeinem Grund nicht mehr Velofahren könnte, würde mich das sehr einschränken. Besonders in den Sommermonaten würde ein Grossteil meines Lebensinhaltes, meiner Freizeit und Freiheit wegfallen. Wenn ich mir etwas für die Veloinfrastruktur wünschen könnte, dann wären das durchgehende Velowege, die getrennt von der Autostrasse sind.

Auch wären besser beleuchtete Velowege wünschenswert. Diejenigen am See entlang sind extrem dunkel in der Nacht. Ausserdem sollten die Wege noch besser beschildert sein. Zudem ist es mir ein persönliches Anliegen, dass Motorräder nicht zwischen den Velos parkieren dürfen, denn ich habe mir schon einmal das Bein ziemlich heftig an einem heissen Auspuff verbrannt.

Zürich als Velo-Stadt

Ich bin aber optimistisch und denke, es wird sich alles positiv verändern. Ich stelle jetzt schon fest, dass viel mehr Leute mit dem Velo unterwegs sind. Mein Bruder zum Beispiel wohnt in Amsterdam. Diese Stadt war bis 1980 eine Autostadt und ist erst danach zur Velostadt geworden. Das zeigt mir, dass das in Zürich auch möglich ist. Ich will das Velo fördern und wünsche mir, dass Zürich eine velofreundliche Stadt wird.

Das Leben in Johannesburg hat mich geprägt. Ich weiss, was für ein Privileg es ist, dass wir die Freiheit haben, zu machen was wir wollen, hinzugehen, wohin wir möchten und dass wir uns frei bewegen und unsere Arbeitsstellen aussuchen dürfen. Das ist für mich Glück und Reichtum. Ein Ziel in der Zukunft wäre, dass ich mich in meinem Radius – mit Wohnen, Arbeiten und Freizeit, ausschliesslich mit dem Velo bewegen könnte.

Aber jetzt freue ich mich erst einmal auf die geplanten Veloferien mit meinem Partner im September. Wir gehen nach Frankreich und versuchen uns dort an ein paar Pässen der Tour de France.

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