Meine Velogeschichte beginnt eigentlich mit Astrid Lindgrens Buch «Na klar, Lotta kann Rad fahren». Dieses Buch war in meiner frühen Kindheit wichtig! Ich verstand: Wenn ich velofahren kann, dann bin ich gross! Und frei! Es weckte in mir den Wunsch, das Velofahren zu lernen. Zuerst noch mit Stützrädern. Ich erinnere mich noch an dieses Strässchen bei uns im Quartier in Wädenswil, auf dem ich übte. Eines Tages entfernten meine Eltern dann diese Fahrhilfen meines hellblauen Velos. Ich fuhr das Strässchen runter – und es funktionierte! Das löste in mir erstmals dieses Gefühl von Unabhängigkeit und Freiheit aus.
Wir machten damals an Pfingsten regelmässig Velotouren durch die Schweiz. Da waren immer mehrere Familien dabei und auch meine damals beste Freundin. Weil sie ein Jahr älter war als ich, war sie auch so eine Art Vorbild von mir . Wir Kinder hatten es lässig, diese Velotouren waren immer ein grosses Abenteuer!
Wie cool war es, als ich endlich in die vierte Klasse kam: Ab dann durften wir mit dem Velo zur Schule. Was hatten wir uns auf diesen Moment gefreut! Mein ganzer Stolz war mein dunkelblaues Mountainbike. Damit fuhr ich fortan immer in die Schule. Und in die Badi am See. Und ins Tennis… Einfach überall hin. Wie gesagt: grosse Freiheitsgefühle.
Ein Rennrad-Klassiker zum 30.
Eine Zeitlang gab es dann eine Velopause. So richtig los ging es erst wieder, als ich auf dem zweiten Bildungsweg mein Geografiestudium an der Uni begann. Plötzlich war ich infiziert mit dem Velovirus. Ich begann, alles auf zwei Rädern zu machen, bei jedem Wetter, auch im Winter. Na gut, dann etwas weniger. Aber so ein Velo ist eben auch sehr praktisch! Wenn wir in den Ausgang gingen und frühmorgens kein ÖV mehr fuhr, dann brachte uns das Velo immer wieder zuverlässig nach Hause. Mein erstes eigenes Velo in der Stadt war damals ein beiges Bianchi mit dunkelblauer Schrift, wunderschön! Meine Eltern hatten das gekauft als ich ein Baby war. Es war also genau gleich alt wie ich. Meine Mama hatte es mir beim Umzug in die Stadt geschenkt.
Als ich dann 30 wurde, wollte ich mir etwas richtig Tolles schenken – und leistete mir ein Rennvelo von Colnago, eines dieser italienischen Klassiker. Auch der aktuelle Tour-de-France-Gewinner Tadej Pogačar fährt so eines.
Meines ist wieder blau mit eingestanztem Namen. Eine Schönheit! Und unglaublich schnell. Daher traute ich mich damit nie, so richtig Gas zu geben. Ich bin eher vorsichtig. Eine Zeitlang schloss ich es auch immer mit zwei Schlössern ab.
Wo bleibt die Verkehrsmobilität?
Im Geografiestudium realisierte ich bald, dass es zwar ständig um Gletscher und Meere und um Wirtschaftsgeografie ging – aber nie um Mobilität. Das war ein Fehler – und es fehlte mir. In dieser Zeit entwickelte sich in mir die Einstellung, dass das Velo als unser täglicher Begleiter einfach zum Leben dazugehört. So kam es, dass ich mich um ein Nebenfach an der ETH in Verkehrsplanung bemühte und anschliessend beruflich in die Welt der Verkehrsplanung eintrat.
Und da besteht in Sachen Veloverkehr noch einiger Handlungsbedarf. Daran arbeite ich heute aktiv mit. Es fehlt nach wie vor ein durchgängiges Velonetz. Manchmal steht man plötzlich irgendwo mittendrin und weiss nicht, wie weiter. Schwierige Kreuzungen brauchen bessere Lösungen. Wenn ich mit meinen Buben im Stadtverkehr unterwegs bin, empfinde ich es als sehr anspruchsvoll. Ich bin stets auf der Hut und muss achtsam sein. Sobald diese Herausforderungen gemeistert werden, glaube ich, dass auch mehr Menschen aufs Velo wechseln.
Denn Das Velo hat gegenüber dem ÖV und dem Auto klare Vorteile: Im Stadtverkehr ist man auf dem Velo schneller, man ist freier und kann direkt an den gewünschten Ort bis vor die Haustüre fahren. Zudem muss man sich nicht im ÖV zwischen anderen Menschen einzwängen. Ja, ich denke, auf andere wirkt man vielleicht etwas seltsam, wenn man wie ich alles mit dem Velo macht. Und nicht zu vergessen: Das Velo ist einfach klimaneutral.
Nachteile beim Velofahren sind, dass man manchmal einen Veloparkplatz suchen muss – oder es halt einfach irgendwie irgendwo abstellen muss. Und dass man nicht gleichzeitig am Handy sein kann, wie zum Beispiel im ÖV. Aber man muss ja auch nicht permanent online sein.
Auch mal Danke sagen
Natürlich stellte ich auch schon öfter fest, dass der respektvolle Umgang aller Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer miteinander zurzeit etwas unter die Räder gekommen ist. Wenn ich vor dem Rotlicht warten muss und links und rechts von anderen Velofahrern überholt werde, verstehe ich, dass das Unverständnis auslösen kann und die Leute hässig werden. Oder wenn Menschen auf ihren e-Bikes mit 45 Stundenkilometern durch ein Quartier brettern, wo sich auch Schulkinder aufhalten, dann wird es schwierig. Andererseits werde ich leider immer wieder grundlos aus Autos angehupt, obwohl ich mich absolut korrekt verhalte.
Die Bereitschaft, den gemeinsamen, engen Platz zu teilen, fehlt heute. Deshalb versuche ich bewusst achtsam und vorausschauend zu fahren und ich bedanke mich auch schon mal bei einem Autofahrer, wenn er sich mir gegenüber vorbildlich verhalten hat.
Ich wünsche mir sehr, dass ich noch beruflich aktiv sein werde, wenn in Zürich endlich die geplanten 130 Kilometer Velovorzugsrouten umgesetzt sind. Das ist mein Traum!
Die neue Freiheit
Nun ändert sich gerade wieder etwas in meinem Leben – und es hat ebenfalls mit dem Velo zu tun: Mein älterer Sohn kam in die Schule und der jüngere in den Kindergarten. Das bedeutet, ich muss ihn nicht mehr täglich per e-Bike mitsamt Anhänger in die weiter weg gelegene Kita fahren, denn Chindsgi und Schule liegen bei uns direkt in der Nähe. Diese neu gewonnene Freiheit ist ein Geschenk!
Beide Buben fahren bereits selbständig mit dem Velo. Wir machen als Familie alles auf zwei Rädern. Ich bringe meine Jungs zum Sport, wir fahren mit Mann, Kind und Kegel auf die Fritschi-Wiese, ich gehe mit dem Velo einkaufen und lade alles in den Anhänger; oder ich düse in meiner Freizeit ins Yoga.
Hauptsache, der Fahrtwind bläst mir ins Gesicht und ich kann meinen Gedanken nachhängen, alles loslassen – ausser den Lenker, nehme die Gerüche wahr, höre die Vögel zwitschern und spüre die Welt um mich herum. Ich liebe diese unbeschreibliche Leichtigkeit auf zwei Rädern!