Lifestyle
Mike Iliopoulos, 51, Faltradfahrer

Manchmal wünschte ich mir autofreie Sonntage zurück.

Aufgezeichnet von Cornelia Schlatter

Ich bin in Zürich Altstetten aufgewachsen. Als ich als Kind mein erstes Velo bekommen habe, durfte ich noch nicht auf die Strasse damit. So fuhr ich damals beim Dachsleren-Schulhaus etwa drei Stunden im Kreis – meine Begeisterung war beinahe grenzenlos! Zum Faltrad sollte es jedoch noch ein paar Velos lang dauern.

Mittlerweile habe ich schon ganz viele Velos besessen: Von einem dänischen Pedersen über ein Strida Citybike, von verschiedenen Rennvelos bis hin zu einem indischen Fahrrad, das Ähnlichkeit mit einem alten holländische Damenvelo hatte. Allerdings hätte man hier am besten den Servicetechniker auch gleich mit im Gepäck gehabt.

Unabhängig, unkompliziert und schnell – das ist für mich Velo fahren

Zwar kann ich Auto fahren, besitze aber keines. Das Unterwegssein mit dem Velo bedeutet für mich maximale Freiheit und Flexibilität. Ich schätze es, in der Stadt immer unglaublich schnell am Ziel zu sein. Mit dem Velo fahre das ganze Jahr über zur Arbeit, bin also Pendler. Täglich sind das 10 Kilometer Arbeitsweg. Wenn ich noch Kunden besuche, kommen noch ein paar Kilometer obendrauf.

Ich bin in der Medizinbranche im Verbandsmanagement tätig und muss meine Kunden für Besprechungen oft in den Spitälern besuchen. Das Velo bietet mir hier die grösstmögliche Flexibilität. Mit dem Velo den Arbeitsweg zurückzulegen, ist einfach toll. Ich bewege mich an der frischen Luft, starte ganz anders in den Tag, und am Abend kann ich erstmal etwas herunterkommen und den Arbeitstag hinter mir lassen.

Mit dem ÖV hin und dem Faltrad zurück

Seit Jahren nutze ich ein Brompton Faltvelo, welches sehr verlässlich ist. Da ich zu Besprechungen nicht verschwitzt ankommen möchte und die meisten Spitäler in Zürich etwas bergwärts liegen, nehme ich auf dem Hinweg meist das Tram und mein Faltrad an die Hand. Den Rückweg kann ich dann bequem mit meinem faltbaren Treter zurücklegen.

Besonders in der aktuellen Pandemie-Situation setze ich konsequenter aufs Velo und meide die ÖV wenn möglich. Es gibt zwar auch Faltvelos mit elektrischem Antrieb. Doch diese sind durch den Akku gleich wesentlich schwerer und in meinen Augen auch etwas anfälliger für Defekte. Ich mag es lieber einfach und setze darum täglich auf mein zusammenklappbares «Arbeitstier».

Faltbar, belastbar und mit vielen Vorzügen

Mein Faltrad ist wirklich ein echter Lastenesel: Ich transportierte damit schon Drucker und Computerbildschirme. Eine Last von 50 bis 60 Kilogramm ist kein Problem. Für meine Zwecke ist das Brompton optimal. Vorne kann ich eine Tasche anklicken. Dafür hat es extra eine Lenker-Halterung. Hinten nutze ich noch zwei Saccochen.

Zugegeben, optisch ist mein Faltvelo nicht gerade eine Schönheit. Aber ich schätze es ungemein, dass ich es bei Bedarf so unkompliziert zusammenfalten und mit in den ÖV nehmen kann. Auch die relativ aufrechte Sitzposition, die man darauf automatisch einnimmt, empfinde ich als sehr angenehm. Ein weiterer Vorteil der sehr aufrechten Körperhaltung ist, dass es daran hindert, zu schnell zu fahren.

Signalgelb und viel Licht

Sicherheit ist ein grosses Thema für mich. Als Pendler sehe ich fast täglich heikle Situationen. Ich rege mich unglaublich auf, wenn ich im Winter, morgens um Sieben einem Velofahrenden ohne Licht begegne. Ich trage stets auffällige Kleidung: gelbe Jacke, gelber Helm, gelbe Handschuhe. An meinem Velo habe ich vorne drei Lichter und hinten zwei montiert. Zusätzlich schalte ich noch das Licht an meinem Helm ein. Leider hatte ich schon mehrere Unfälle und bin einmal nur knapp mit dem Leben davongekommen. Daher weiss ich, wie immens wichtig es ist, sich sichtbar zu machen.

Ich wünsche mir mehr Fairness unter den verschiedenen Verkehrsteilnehmern. Die eine Minute, die man mit Geschwindigkeit herausholt, ist es am Ende meist nicht wert. Ich fände es sinnvoll, wenn man zum Beispiel Foren mit Verkehrsteilnehmenden bilden würde, die jeden Tag dieselbe Strecke fahren. So liessen sich Schwachpunkte und das Verbesserungspotenzial einer bestimmten Strasse, Kreuzung oder eines Radweges ziemlich schnell und zielführend herausarbeiten. Ich finde es wertvoll, eine Situation aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. So könnten schnell gute und nachhaltige Lösungen gefunden werden.

Weniger Lärm – mehr Lebensqualität

Ist man jeden Tag mit dem Velo unterwegs, wird der Blick geschärft. Mit dem Fahrrad sieht man einfach mehr von der Stadt. Auch auf Ferienreisen in fremden Städten miete ich gerne ein Velo. Man kommt so an Orte, die man sonst nicht erreichen würde. Das finde ich sehr spannend und bereichernd. Das Velo eröffnet mir eine ganz neue Dimension des Erkundens.

Einer der Hauptgründe, der für eine vermehrte Nutzung von Velos als Transport- und Verkehrsmittel in Städten spricht, ist für mich die Reduktion der Lärmemissionen. Einmal war die Hardbrücke für ein paar Tage gesperrt. Die ungewohnte Stille war unglaublich.

Manchmal wünsche ich mir sogar die autofreien Sonntage zurück. Damit würde den Menschen wieder einmal bewusst, wie viel ruhiger eine Stadt sein könnte und wie bedeutend der Gewinn an Lebensqualität sein würde.

Anmerkung der Redaktion

Digital gibt es bereits heute eine konstruktive Möglichkeit für Velofahrende, schweizweit gute und schlechte Beispiele der Veloinfrastruktur zu dokumentieren. Findige, junge Velofahrende aus Zürich und Bern entwickelten eine Plattform mit zugehöriger Smartphone-App für iOS und Android. Registrierte Nutzerinnen können „Spots“ erfassen, kommentieren und für Lösungen mitdiskutieren. So werden auch Forenfunktionen angeboten.

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