Lifestyle
Luzia Epp, 68, Pflegefachfrau pensioniert

Ich fahre seit 30 Jahren mit meinem Liegevelo.

Aufgezeichnet von Cornelia Schlatter

In den drei Jahrzehnten, in denen ich mit meinem Liegevelo unterwegs bin, wurde es mir innerhalb eines Monats zweimal gestohlen. Vor dem Spital, meinem früheren Arbeitsort und vor dem Einkaufszentrum. Doch hat es immer wieder den Weg zu mir zurückgefunden.

Ich hatte nie ein Auto, bin immer mit dem Velo gefahren. Wir, mein damaliger Mann und ich, kannten die Leute, die diese Liegeräder herstellten. Es sind echte winterthurer Qualitätsfabrikate. Damals brauchten wir neue Fahrräder und interessierten uns für die Liegevelos. Ich hatte einen Nachmittag lang geübt und mir gefiel diese Art der Fortbewegung. Es ist angenehm, auch bergauf. Ich sitze aufrecht, bekomme so gut Luft und kann mich mit dem Rücken in meinen Sitz stemmen. So schaffe ich jeden Berg. Bloss am Berg anfahren, das kann ich immer noch nicht so gut. Das geht sehr streng.

Das am meisten und bei jedem Wetter gefahrene Liegevelo

Die Liegevelos haben sich nie richtig durchgesetzt. So sprechen mich heute noch Menschen auf mein spezielles Fahrrad an, besonders Kinder. Die finden es «lässig». Mein fahrbarer Untersatz ist nun fast mein halbes Leben lang mein ständiger Begleiter. Ausser ein paar Ersatzteilen und zwischendurch einem Service ist mein Velo immer noch im Originalzustand. Jedenfalls freute sich mein Velomechaniker immer, wenn ich mein Velo in die Werkstatt brachte. Er sagte dann jeweils, dass mein Liegevelo wahrscheinlich das am meisten und vor allem bei jedem Wetter gefahrene Liegefahrrad sei, das er kenne. Der Velomechaniker ist heute pensioniert, wie ich auch.

Als Pflegefachfrau fuhr ich früher täglich fünf bis sechs Kilometer zum Spital. Allerdings hat es mir immer gutgetan, mein Arbeitsweg an der frischen Luft zurücklegen zu können. Da ich stets mit schweren Schicksalen konfrontiert war, konnte ich beim Velofahren gut abschalten und den Spitalalltag hinter mir lassen. Bewegung ist für mich die ultimative Erholungsstrategie. Immerhin bin ich seit der Pensionierung noch fast täglich mit dem Liegevelo anzutreffen, sei es zum Einkaufen, für Besuche oder für Ausflüge. Gelegentlich arbeite ich noch für die Palliative Spitex und mache Nachtwache. Zeitweise führt mich meine Arbeit dann auf einen entlegenen Bauernhof. Dabei bietet mir mein Liegevelo die grösstmögliche Flexibilität.

Velo-Stadt Winterthur

Meine Heimatstadt Winterthur ist eine super Velo-Stadt. Die Infrastruktur für Velos ist sehr gut. Zwar wünschte ich mir manchmal etwas mehr Veloparkplätze. Besonders rund um den Bahnhof muss man zu bestimmten Tageszeiten wirklich suchen. Mein Liegevelo ist etwas länger als ein normales Velo, was die Suche zusätzlich erschwert. Manchmal würde ich es begrüssen, wenn man als Velofahrer am Rotlicht rechts abbiegen dürfte. Natürlich mit der gebotenen Vorsicht, so bliebe der Verkehr besser im Fluss.

Niemals ohne das Fähnchen

Oft sagen Leute zu mir: «Dich sieht man ja gar nicht, du bist so tief unten.» Darauf antworte jeweils, dass sie in diesem Falle auch ein sieben- oder achtjähriges Kind mit dem Velo übersehen würden. Immerhin bewege ich mich etwa auf derselben Höhe. Zudem führe ich ein leucht-oranges Fähnchen mit, welches an einem langen Stab montiert ist. Denn ohne mein Fähnchen fühle ich mich nackt. Dabei war die beste Investition für meine Sicherheit der Einbau eines Nabendynamos. Gutes Licht ist einfach ein Muss, ebenso wie das Tragen eines Helms. Jedenfalls habe ich als Pflegefachfrau schon genug unschöne Dinge gesehen.

Mein Liegevelo ist ein toller Lastwagen

Mein Liegefahrrad ist auch ein toller «Lastwagen». Denn ich kann damit problemlos drei grosse Einkaufstaschen transportieren. Zwei hänge ich links und rechts an die Rückenlehne und eine packe ich auf den Gepäckträger. Mit so viel «Stauraum» lassen sich gut Tagestouren unternehmen. Mein liebstes Ziel im Sommer ist der etwas mehr als 20 Kilometer entfernte Hüttwilersee im Thurgau. Für mich ist das der schönste See der Schweiz. Hier kann ich einfach die Seele baumeln lassen. Das Liegevelo findet den Weg fast allein und ich kann es einfach nur geniessen. Falls ich dann später einmal nicht mehr so gut bergauf pedalieren mag, gibt es auch e-Liegevelos. Zurzeit ist das allerdings noch kein Thema für mich.

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