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Luul Yemane, 19, Schüler aus Eritrea

Auf dem Velo fühle ich mich frei.

Aufgezeichnet von Vanessa Sadecky

Als ich noch in Eritrea lebte, wäre ich gerne Velo gefahren. Aber damals konnte ich mir kein eigenes leisten. Velofahren gelernt habe ich trotzdem. Einer meiner Cousins besass eines, womit er mir das Fahren bei brachte.

In Eritrea gibt es eine Velokultur. Sie ist etwas anders als in der Schweiz. Jedenfalls haben Eritreer auch schon an der Tour de France teilgenommen. Viele Kinder in den Dörfern gehen mit dem Velo zur Schule. Das Problem sind jedoch schlechte Strassen, worauf Veloreifen sehr schnell kaputt gehen. Auf den Strassen liegen Steine, nicht wie der Kies hier auf den Wegen. Der ist wie Sand verglichen mit den Brocken auf den Strassen von Eritrea. Dazu kann man auf dem Land sein Velo nicht einfach in einen Veloladen bringen und reparieren lassen, weil diese meistens sehr weit weg sind.

Mit 15 Jahren verliess ich mein eritreisches Heimatdorf. Mit meinem Cousin und einem Kollegen sind wir zu dritt weg. Am Anfang war es in der Schweiz schwierig. Acht Monate wohnte ich mit 80 anderen Menschen in einer Turnhalle in Winterthur. Im Sommer war es zu heiss und im Winter zu kalt. Ich bin darum sehr glücklich, dass ich jetzt in einer WG wohnen darf. Momentan lebe ich dort mit einem Schweizer Mitbewohner. Bevor ich bei ihm einzog, kaufte ich mir ein Occasions-Velo an einer Velobörse. Es war eher mühsam damit zu fahren. Als ich meinem Mitbewohner irgendwann erzählte, dass ich gerne Velo fahre, zeigte er mir sein Mountain-Bike, welches im Keller stand. Seit zwei Jahren war er nicht mehr damit gefahren. Ich durfte es aufpumpen und ausleihen. Ich bin dann gleich zum Schloss Kyburg hochgefahren und konnte dort den Ausblick geniessen. Das war ein sehr schöner Moment für mich.

Mein Alltag ist manchmal nicht einfach

Mit meiner N-Aufenthaltsbewilligung weiss ich nicht, wie lange ich in der Schweiz bleiben kann. Schon zwei Mal erhielt ich negativen Bescheid betreffend eines besseren Aufenthaltsstatus. Diese ungewisse Situation stresst sehr und es ist schwer, eine Lehrestelle zu finden. Ich darf nur arbeiten, wenn ein Arbeitgeber eine spezielle Arbeitsbewilligung für mich einholt.

Zurzeit besuche ich eine Schule, die mich auf eine Lehre vorbereitet. Es gibt viele Berufe, die mich interessieren. Ich dachte zuerst, es gäbe nur die Möglichkeit als Handwerker zu arbeiten. Jetzt weiss ich, dass es viele Optionen gibt. Es ist toll, dass es Jobs gibt, die nicht nur streng sind, sondern auch Spass machen. Es hat mir sehr gefallen, als Kleinkinderbetreuer schnuppern zu dürfen. Die Kinder waren mega süss.

Luul Yemane mit seinem Velo

Auf dem Velo fühle ich mich frei. Ich lernte Orte in der Schweiz kennen, die ich sonst nicht hätte besuchen können. Schaffhausen gefiel mir bisher am besten. Als nächstes würde ich gerne St. Gallen sehen. Ich träume davon, eines Tages mit dem Velo zu verreisen. Jetzt kann ich mir das nicht leisten, ich lebe von etwa 500 Franken im Monat.

Wenn ich Sport mache, gehen die Gedanken weg

Wenn ich zuhause bin, wird mir schnell langweilig. Ich fühle mich besser, wenn ich Velo fahren, ins Fitness gehen oder Fussball spielen kann. Denn, wenn ich in meinem Zimmer sitze, versinke ich in den Gedanken über meine Zukunft. Wenn ich Sport mache, gehen die Gedanken weg.

Helfen ist mir wichtig

Was ich mir für die Zukunft wünsche? Ich möchte anderen Menschen helfen, sich in der Schweiz leichter zurechtzufinden und zu integrieren. Mir fiel das am Anfang schwer. Darum bin ich seit zwei Jahren bei der Eritrea Diaspora Academy tätig. Früher war ich dort Teilnehmer, heute bin ich Dozent. Wir erklären den Teilnehmern, wie sie mit Panik und Stress umgehen können oder ein eigenes Projekt entwickeln. Es geht aber auch um Dinge wie: Wie frage ich im Laden, wo die Eier sind? Wie am Gleis, ob der Zug zum Hauptbahnhof fährt? Solche kleinen Dinge zu wissen, sind enorm wichtig. Sie geben dir das Selbstbewusstsein, um nach draussen zu gehen.

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