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Kostenwahrheit Verkehr – Wem gehören die Strassen?

Hannes Munzinger

Gegenwärtig häufen sich auf Facebook die Argumente, dass die Strassen den Autofahrenden gehören, im Sinne von, sie tragen die vollen Kosten mit Strassenverkehrsabgaben und Kraftstoffpreisen. Um Klarheit zu schaffen, haben wir die Fakten zur «Kostenwahrheit Strassen» zusammengetragen. Es ist richtig, dass Autofahren verglichen mit Velofahren exponentiell teurer ist. Treibstoffe und bereits das Einlösen eines Motorfahrzeugs werden ja besteuert. Aber was bedeutet das im echten Leben?

Alleiniger Kostenträger für Autobahnen und Autostrassen

Autobahnen und Autostrassen werden nahezu vollständig durch den motorisierten Verkehr getragen und ausschliesslich von ihm genutzt. Warum nur nahezu vollständig? S-Pedelecs und Mofas sind der Kategorie Motorfahrräder zugeordnet. Deshalb bezahlen auch deren Lenkerinnen und Lenker Verkehrsabgaben, dürfen jedoch Autobahnen und Autostrassen mit ihren Zweirädern nicht nutzen.

Ausnahmefall Nationalstrassen

Eine der wenigen Nationalstrassen, die als Hauptverkehrsstrasse geführt wird, verbindet den Autobahnanschluss Uster durch das Aathal nach Wetzikon und Hinwil mit dem Autobahnanschluss beim Betzholzkreisel. Der durchschnittliche Tagesverkehr und der Schwerverkehrsanteil sind dort entsprechend hoch. Diese Strecke schliesst die Lücke der Oberlandautobahn A15, die nicht durchgängig realisiert wurde. Auch der Hirzel (Wädenswil bis Kantonsgrenze Sihlbrugg) ist eine Nationalstrasse, teilweise sogar mit Radstreifen. Die Kosten dafür trägt ebenfalls der motorisierte Verkehr durch seine Abgaben. Genutzt werden diese Strecken jedoch von allen Verkehrsmitteln.

Kostenverteiler bei Strassen für alle Verkehrsmittel

Im Kanton Zürich bezahlen die Autofahrenden rund 19% aller Strassen, welche von allen Verkehrsmitteln befahren werden können. Die restlichen 81% des Strassennetzes trägt die Allgemeinheit, inklusive aller Steuerpflichtigen, die weder ein Auto noch ein Velo besitzen. Das Angebot im Strassenraum zeichnet jedoch ein gegenläufiges Bild. Während der letzten sechzig Jahren wurde dieser nach und nach auf den motorisierten Verkehr ausgerichtet.

Funktioniert das Verursacherprinzip?

Leider nein. Schaut man sich die Mobilität genauer an, entstehen durch die Benutzung von Verkehrsmitteln weitere Kosten. Mit den Strassenverkehrsabgabe, Mineralölsteuer etc. werden zwar interne Kosten wie die infrastrukturellen Kosten, der Bau, Betrieb und Unterhalt abgedeckt. Es entstehen jedoch auch externe Kosten, die nicht direkt die Verursacher tragen.

In der Schweiz fallen durch den motorisierten Individualverkehr jährlich rund 9.5 Milliarden Franken als Folge von Umweltschäden, von Unfällen und als Gesundheitsfolgen durch Lärm, Luftverschmutzung und Verletzungen unterschiedlicher Schwere an. Diese Kosten tragen die Allgemeinheit oder zukünftige Generationen. Da die externen Kosten im Portemonnaie nicht direkt spürbar sind, haben sie keinen Einfluss auf das Verkehrsverhalten von heute.

Beim Veloverkehr belaufen sich die externen Kosten auf 566 Millionen Franken. Sie entstehen mehrheitlich durch Unfallfolgen. Der externe Gesundheitsnutzen beträgt 462 Millionen Franken. Damit überwiegen die externen Kosten, vor allem der Unfallzahlen wegen, knapp 104 Millionen Franken.

Mehr Veloverkehr, mehr externer Nutzen?

Der Veloverkehr übernimmt heute bloss einen mittleren, einstelligen Prozentsatz im Gesamtverkehr. Dennoch generiert das Velofahren einen Nutzen für die Allgemeinheit durch die Minderung der Gesundheitskosten. Dieser externe Nutzen hat ein grosses Potenzial, falls mehr Menschen das Velo nicht nur als Sportgerät, sondern vermehrt für alltägliche Erledigungen nutzen und dabei auf Automobilität verzichten. Im Vergleich dazu kann der MIV keinen externen Nutzen ausweisen.

Der Schlüssel ist die Infrastruktur

Weshalb nutzen wir bei uns das Velo wenig als Verkehrsmittel? Zu wenig innovativ? Zu wenig attraktiv? Zu grün, zu links? Weil der Nachbar auch kein Velo nutzt? Weil wir uns im Auto sicherer fühlen? Weil das Velo Sportgerät ist? Weil es ab und zu regnet oder kalt ist? Oder gar, weil es bei uns topographisch anspruchsvoller ist?

Wo liegt der Unterschied zu den Niederlanden oder Dänemark, wo das Velofahren integraler Bestandteil der Mobilität ist? Liegt das Velofahren den Menschen aus nordischen Ländern einfach im Blut? Wenn man sie fragt, fahren sie nicht mit dem Velo, um das Klima zu retten oder weil sie Ökoheilige sind, auch nicht wegen der Gesundheit. Sie nutzen das Velo, weil es für sie die schnellste und bequemste Art ist, sich fortzubewegen und weil die bedarfsgerechte Veloinfrastruktur auf Sicherheit ausgerichtet ist. Das Geheimnis dahinter sind eine mehrheitlich separierte Veloführung und die klare Priorisierung des Veloverkehrs gegenüber dem Autoverkehr, wo sich die Verkehrsmittel kreuzen.

Ein lösbares Dilemma

Nochmals zur Erinnerung: Es ist also bei Weitem nicht so, dass Automobilist:innen alles selber bezahlen. Und wer aufs Velo umsteigt, schafft mehr Strassenraum – vor allem für jene, die wirklich auf ein Auto angewiesen sind. Da erfahrungsgemäss nur Leute umsteigen, die sich auf dem Velo sicher fühlen, würden wiederum nicht bloss die Velofahrenden von Investitionen in sichere Veloinfrastruktur profitieren, sondern auch die motorisierten Verkehrsteilnehmer:innen.

Bei keiner anderen Erfindung ist das Nützliche mit dem Angenehmen so innig verbunden, wie beim Fahrrad.
– Adam Opel

Geben wir dem effizienten Verkehrsmittel Velo eine Chance. Vielleicht nicht als „Game Changer“ für die Strecke Zürich – Olten, aber zumindest für die Strecke zum nächsten Bahnhof oder ins Fitness. Schlussendlich geht es um die eine Welt von Morgen.

Leisten wir einen Beitrag für unsere Kinder und die zukünftigen Generationen. Gute und sichere Fahrt, egal womit Sie momentan unterwegs sind.

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