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Elisabeth Heimlicher, 76, pensionierte Lehrerin

Für mich ist das Velo das beste Verkehrsmittel überhaupt

Aufgezeichnet von Cornelia Schlatter

Seit über 70 Jahren im Velosattel

Das Velo ermöglicht mir, selbstbestimmt mobil zu sein. Mit dem Velo steht mir die Welt offen. Velofahren gibt mir ein Gefühl von Freiheit und Leichtigkeit und eben auch von Selbstbestimmung. Das gefällt mir.

Für mich ist das Velo das beste Verkehrsmittel überhaupt. Ich kann das Tempo bestimmen und spontan anhalten, wenn ich etwas sehe, das ich mir näher anschauen möchte. Ich kann mein Velo überall parkieren. Mühsame Parkplatzsuche gibt es mit dem Velo nicht. Wenn es sein muss, kann ich mein Velo sogar kurz eine Treppe hinauf- oder hinunter tragen. So bin ich maximal flexibel. Ausserdem ist Velo fahren gesund, ich bewege mich.

Früh übt sich

Das Velo ist schon seit frühester Kindheit ein zentraler Teil meines Lebens. Mein Vater war Velomechaniker und hatte ein eigenes Velofachgeschäft in Rohrbach im Kanton Bern. Da bin ich aufgewachsen. Ich war oft in der Werkstatt und habe viel mitbekommen. Manchmal brachte ich den Leuten die reparierten Velos nach Hause oder half im Laden mit. Bereits mit fünf Jahren bekam ich ein eigenes Velo. Das war damals die Ausnahme. Bei uns im Dorf fuhren fast alle mit Velos oder mit Pferde- und Hundewagen. Später, als wir ein Auto besassen, wurde diese Familienkutsche am Sonntag für ein «Ausfährtli» aus der Garage geholt. Das hasste ich regelrecht! Lieber wäre ich allein zu Hause geblieben. Aber das erlaubten meine Eltern nicht.

Ich habe nie Auto fahren gelernt, das hat mir nichts gesagt. Als ich mit 16 Jahren nach Langenthal ins Lehrerseminar kam, erhielt ich für den Weg ein Puch-Töffli. Bei dem konnte ich sogar mit Zwischengas schalten. Aber das war es auch schon mit meiner Motorfahrzeug-Karriere. Oft nahm ich auch das Velo, wenn ich genug Zeit hatte oder im Winter den Zug.

Städte erradeln und der Rückspiegel

Wenn ich im Ausland mir eine Stadt anschaue, dann tue ich das am liebsten mit dem Velo. So habe ich schon Amsterdam, Paris und London erkundet. Auch früher, als ich während der Schulferien jeweils zu meinem Grossvater nach Bern in die Ferien durfte, fuhr ich in der Stadt immer gern Velo. Das gefiel mir! Man erfährt eine Stadt so ganz anders, viel näher.

Auch mit meinen Kindern fuhr ich gern Velo. Mein Mann bastelte sogar einen hölzernen Kindersitz, auf dem ich ein Kind und eine Tasche mitführen konnte. Seit meiner Zeit mit meinen Kindern habe ich immer einen Rückspiegel am Velo. Ich musste doch sehen, ob alle Kinder mir schön hinterher folgten.

Vom Rennrad zum Gravelbike, vom Motörli zur Gipfelstürmerin

Mit 60 Jahren kaufte ich mir ein Rennvelo. Ich mochte leichte Velos immer sehr. Aber der Velomech musste es für mich alltagstauglich umbauen, also mit Gepäckträger und Schutzblechen ausstatten. So war ich dann lange Zeit unterwegs, bis vor ein paar Jahren. Da gab ich dieses Velo an meine Schwiegertochter weiter – sie hat dann alles wieder abmontiert.

Dank dem Placeboeffekt habe ich den Berg erklommen!

Danach legte ich mir ein Gravelbike mit breiteren Reifen zu und zwei Jahre später gleich noch eines. Ich mag die Abwechslung. Und das Beste ist, seit Kurzem habe ich an einem der beiden Gravelbikes ein Motörli, also eine E-Unterstützung. Das ist das Nonplusultra für mich! So komme ich im schönen «Züri-Oberland» wieder jeden Hügel hinauf. Ich muss nicht mehr überlegen, ob ich das heute schaffe oder nicht, da ich unter einem Sportler-Asthma leide. Durch die Unterstützung benötige ich beispielsweise über eine halbe Stunde weniger Fahrzeit nach Zürich. Es gibt mir die Freiheit, wieder spontan zu entscheiden, wo ich durchfahren möchte, auch wieder hoch zum Rosinli mit dem steilen Anstieg kurz vor dem Ziel.

Eine lustige Anekdote: Bevor ich mir das «Motörli» zugelegt hatte, durfte ich es einige Wochen testen. Leider fiel plötzlich ein Sensor aus, was ich nicht bemerkte. Ich war der Meinung, dass ich mit Unterstützung fahre. Und so kam ich auch den Berg hinauf, wenngleich es mit erheblicher Anstrengung verbunden war – ein klassischer Placeboeffekt.

Velo und Zug – eine unschlagbare Kombination

Mein Partner und ich unternehmen gerne Velotouren und kombinieren Velofahren mit Zugfahren. Neulich waren wir am Rheinfall und fuhren dann mit dem Zug nach Stein am Rhein. Von dort aus radelten wir dem Rhein und dann dem Bodensee entlang bis nach Konstanz. Diese Möglichkeit, die beiden Verkehrsmittel zu kombinieren, gefällt uns sehr. Der Radius wird so grösser.

Ich wünschte mir allerdings, dass die SBB ihre Sperrzeiten für die Mitnahme von Velos im Zug von 16:00 bis 19:00 Uhr aufheben würden. Führten die Züge einen extra Velowagen mit, würden sicher viel mehr Menschen das Velo im Zug mitnehmen. Und die Preise für die öffentlichen Verkehrsmittel sollten günstiger werden, damit mehr Leute das Auto auch mal in der Garage stehen lassen.

Das Glück liegt auf dem Velosattel

Jedes Mal, wenn ich mich aufs Velo setze, empfinde ich grosse Freude. Ich verbinde meine Velofahrten gerne mit Einkäufen oder kleinen Velotouren. In meiner Freizeit spiele ich Geige in einem Seniorenorchester. In Uster treffen wir uns einmal in der Woche zur Probe. Und vor Kurzem haben wir hier in Wetzikon eine «Stubete» gegründet. Zu diesen geselligen Terminen bin ich bei schönem Wetter gerne mit dem Velo unterwegs.

Verbesserungswünsche

Auf meinen täglichen Velofahrten fallen mir verschiedene Dinge auf, die verbesserungswürdig sind. Das Velofahren sollte allgemein sicherer werden, besonders für Kinder. Die Gefahren, wie zum Beispiel Gullydeckel, lauern immer dort, wo die Velofahrer durchfahren müssen, also auf den Velowegen selbst. Ich wünsche mir unter anderem sanftere Randsteine, wenn man zum Beispiel mal die Fahrbahn wechseln muss.

Ausserdem bin ich dagegen, dass man immer mehr separate Velospuren baut. Das braucht so viel Land, so schwindet die Natur. Stattdessen sollte man den Autoverkehr weniger attraktiv machen. 

Es wäre wünschenswert, wenn die Velofahrenden bei den Lichtsignalen priorisiert würden. Ich bin auch für Tempo 30 innerorts. Ausserdem sollte man die Vorteile vom Velofahren nicht beschneiden und die Velos nicht wie Autos behandeln. Ich fände es auch gut, wenn Velos dort, wo es keine Velowege gibt, auf dem Trottoir fahren dürften, natürlich immer mit der nötigen Vorsicht und Rücksichtnahme auf die Fussgänger:innen.

Velotaxi für ältere Menschen

Ich gebe zu, manchmal empfinde ich ein bisschen Schadenfreude, wenn ich an einer stehenden Autokolonne vorbeifahre und einfach zufahren kann. Die Autofahrer sind sich gegenseitig im Weg und könnten Besseres mit ihrer Zeit anfangen. Jedoch, immer mehr Strassen und Parkplätze zu bauen, finde ich die schlechteste Lösung. Unsere Welt ist begrenzt.

Ich überlegte mir schon oft, ob es eine gute Sache für die Umwelt sein könnte, wenn man für ältere Menschen, die nicht mehr Velo fahren einen Rikscha-Taxidienst einrichten würde. Diese würden die Menschen auf Ihren Wegen durchs Dorf unterstützen. So würden Arbeitsplätze geschaffen und die Lebensqualität in den Dörfern gesteigert. Zum Beispiel von Wetzikon aus sind die Strandbäder Auslikon oder Seegräben schlecht erreichbar. Es ist zu weit zum Gehen und eine öffentliche Verkehrsverbindung fehlt. Da fände ich einen Rikscha-Taxi-Dienst grossartig.

Ich hoffe sehr, dass ich noch lange mit dem Velo unterwegs sein kann. Wenn ich nochmals jung wäre, dann würde ich vermutlich eine grosse Veloreise machen. Entweder von Nord nach Süd oder von Ost nach West, so, wie es in Velo-Heftlis zu lesen ist oder man es an einem Filmvortrag sehen kann.

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