Lifestyle
Dr. Rudolf Vögele, 59, kantonal tätiger, katholischer Kirchenmann

Wir Badener können auch mal ein Donnerwetter loslassen.

Aufgezeichnet von Christian Nill

So richtig angefangen hat es bei mir 2003 – die Leidenschaft fürs Fahrradfahren, meine ich.  Damals hatte ich gesundheitliche Probleme und musste zur Kur. Meine Aufgabe war es, wieder aktiver zu werden. Also begann ich mit Nordic Walking und Fahrradfahren. Letzteres hatte mir besonders zugesagt. Diese Möglichkeit, Sport und Natur zusammenzubringen, fasziniert mich bis heute. Ich liebe es, draussen zu sein.

Also fing ich an, regelmässig aufs Velo zu steigen. Und es hatte mich so richtig gepackt! Ich radelte schon bald von zuhause zur Arbeit nach Freiburg im Breisgau. Das waren damals rund 30 bis 35 Kilometer täglich. Ein gutes Gefühl. Ich war zufrieden mit meiner Leistung und bin es noch. Heute spule ich pro Jahr zwischen vier und fünftausend Kilometer auf dem Sattel ab. Jetzt im Frühling, wenn viele Menschen ihre Räder aus dem Keller holen, habe ich bereits 1’000 Kilometer in den Beinen.

Wenn der Boden zu eisig ist

Auch hier in der Schweiz, wo ich seit 2007 lebe, benutze ich mein Velo täglich, um damit zur Arbeit zu fahren. Ich bin Leiter des Pastoralamts der Katholischen Kirche im Kanton Zürich. Mein Arbeitsplatz liegt mitten in der Stadt. Und wenn ich eine Pfarrei besuchen gehe, die etwa 20 Kilometer entfernt liegt, dann nehme ich ebenfalls das Velo. So absolviere ich an meinen Arbeitstagen mindestens 23 Kilometer auf dem Rad. Bei Wind und Wetter! Bloss bei Glatteis verzichte ich darauf.

Wobei – im vergangenen Winter war ich wie üblich auf dem Weg zur Arbeit. Ich fuhr meine Strecke entlang der Limmat. Als ich zur Wasserstrasse hochfuhr, kam mir eine Postbotin auf ihrem Elektromobil entgegen. Sie konnte sich nicht entscheiden, ob sie nun rechts oder links an mir vorbei wollte. Im letzten Moment musste ich eine Notbremse machen, um einen Zusammenstoss zu vermeiden. Und da war der Boden dummerweise etwas zu eisig, sodass ich hinfiel. Sie lachte und fuhr einfach weiter. Das hat mich saumässig geärgert.

So kanns gehen. Aber im Grossen und Ganzen fahre ich zum Glück unfallfrei. Leider gibt es immer wieder brenzlige Situationen. Zum Beispiel bei Fussgängerinseln in der Strassenmitte. Wenn ich da mit dem Velo durchfahre, hat daneben eigentlich kein Auto mehr platz. Dennoch drängen sich da regelmässig Autos an mir vorbei. Das ist beängstigend. Zum eigenen Schutz fahre ich vorsichtig und rechne ständig mit rücksichtslosen Autofahrerinnen und Autofahrern und anderen Verkehrsteilnehmer*innen. Dazu gehören leider auch oft jene auf den e-Bikes. Wenn diese mich auf dem Veloweg an der Limmat in hohem Tempo von hinten überholen, ohne dass ich sie bemerke, dann ist das schon sehr riskant. Da müsste ich nur einmal einen unbeabsichtigten Schlenker machen, und es würde krachen.

Velofahren hat etwas mit Spiritualität zu tun.

Ich habe es mir angewöhnt, rücksichtsvoll und vorsichtig zu fahren. Im Wortsinn. Das hat für mich auch etwas mit Spiritualität zu tun. Und mit Kontemplation. Damit meine ich, dass ich das Fahrradfahren für mich etwas Besinnliches hat. Ich nehme mir die Zeit dafür, ohne deshalb zu trödeln. Morgens kann ich mich auf dem Velo auf den Tag einstellen, auf die anstehenden Begegnungen. Abends halte ich Rück-Schau: Was ist heute geschehen, was hat mich bewegt? In solchen Momenten nehme ich dann schon auch mal Kontakt auf mit meinem Chef im Himmel, wenn ich den Sinn im erlebten Tag suche und das Erlebte mit meinen Lebenszielen in Verbindung bringe.   

Ich bezeichne mich selber ja als «Berufs-Christ». Und als solcher liegt es mir am Herzen, dass ich das Schöne mit dem Sinnvollen verschmelzen kann. Deshalb habe ich vor einigen Jahren eine Velo-Wallfahrt ins Kloster Einsiedeln ins Leben gerufen. Diese Wallfahrt der Katholischen Kirche im Kanton Zürich findet immer am ersten Samstag im Juli statt. Da gibt eine Fuss-Wallfahrt für Familien und Kinder, speziell auch für Jugendliche, eine barrierefreie Wallfahrt für Menschen mit Behinderungen und natürlich diese Velo-Wallfahrt, die ich leite. Wir fahren dann von Wollishofen via Rüschlikon, Schindellegi nach Einsiedeln.

Das diesjährige Motto unserer Wallfahrt passt zum Zwingli-Jubiläum, es lautet: Tut um Gott’s Willen etwas Tapferes. Das ist ein Zitat von Zwingli und bedeutet für uns auch, Kriegen ein Ende zu setzen, Flüchtlingen ein Zuhause zu geben und Klimaziele umzusetzen. Aber vor allem bedeutet es, auch mal Zivilcourage zu zeigen! Darin bin ich als Badener nicht schlecht. Denn im Gegensatz zu den Schwaben und ihrem Sprichwort Nix gsait isch g‘lobt gnuag können wir Badener schon auch mal ein Donnerwetter rauslassen, wenns sein muss.

Mit meinem Buch zeigte ich Zivilcourage

Das tat ich letztes Jahr, als ich mein Buch „Die Ausgetretene Kirche“ veröffentlichte. Darin geht es um den Mitgliederschwund in der Katholischen Kirche. Meine Hauptaussage darin: Nicht die Menschen treten aus der Kirche aus, sondern die Kirchen aus den Leben der Menschen. Das kam nicht bei allen Kirchenleuten gut an. Aber viele andere haben mir bestätigt, dass sie sich in der Kirche «spirituell unterernährt» fühlen.

Als Velofahrer zeigt sich meine Zivilcourage darin, dass ich auch mal den Mund aufmache. Zum Beispiel einem Polizisten gegenüber, der mich anzeigen wollte, weil ich am Seilergraben Richtung Central auf dem Trottoir fuhr. Ob dieser Streit Ursache war, dass genau dieser Abschnitt heute Veloweg ist, glaube ich nicht. Aber ich wurde auch nicht verzeigt, denn natürlich habe ich in der Schweiz gelernt, einen etwas diplomatischeren Umgang zu pflegen.

Eine Velotour entlang der Elbe

Ganz generell bin ich überzeugt, dass mich das Fahrradfahren gesund hält. Ich bin fast nie mehr krank, seit ich mich fast nur noch auf dem Zweirad fortbewege. Als ich das Velofahren wieder für mich entdeckte, erzeugte es in mir eine Bewusstseinsänderung. Ich begriff, dass es nicht darum ging, Leistungssport zu betreiben, um aktiv zu sein. Sondern, dass ich etwas machen musste, was mir auch Freude bereitet. Heute ist das eine tolle Ergänzung zu meinem Beruf, den ich vorwiegend im Sitzen ausübe. Wenn ich dann morgens ins Büro komme und bereits elf Kilometer geradelt bin, ist das super. Und abends, auf dem Nachhauseweg, ist es dank Velo auch möglich, Aggressionen rauszulassen und Spannungen abzubauen. Und: Das Fahrrad ist vermutlich das ökologischste Verkehrsmittel überhaupt. Das gefällt mir!

Eines meiner Ziele ist es, gemeinsam mit meiner Frau eine ausgedehnte Velotour zu machen. Zum Beispiel den Elbradweg: Einfach während drei Wochen von Hamburg bis Dresden zu radeln. Das wäre ein Traum.

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