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Daniel Freitag, Jahrgang 1971, Entrepreneur, Gestalter

Züri ist genug klein, um die Stadt auch mehrmals pro Tag zu durchradeln

Aufgezeichnet von Christian Nill

«Ich bin schon ein Abenteurer. Gerne bin ich mit dem Velo unterwegs. Eines meiner Schlüsselerlebnisse hatte ich nach meiner Grafikerlehre 1992. Damals wollte ich, inspiriert vom Velo-Roadmovie El Viaje, von Patagonien durch den ganzen Kontinent hoch bis nach Nordamerika radeln – allein. Ich war mitten in der Vorbereitung, als ich mir eingestand, dass diese Reise für meine erste Velotour vielleicht doch eine Nummer zu gross war. Also änderte ich meine Pläne und fuhr von Meilen aus, wo wir damals lebten, mit dem Velo über Deutschland und Schweden bis nach Oslo in Norwegen.

Dort ging’s mit dem Schiff rüber auf die Lofoten und dann weiter nordwärts bis zur russischen Grenze. Na ja, auch eine ziemliche Tour!

Was für ein Zufall

In der Gegend von Narvik (Norwegen) entdeckte ich einen einsamen Velofahrer vor mir. Ich konnte ihn jedoch nicht einholen, denn er war sehr zügig unterwegs. Ein riesiger Steinpilz, den ich direkt neben der Strasse erspäht hatte, lenkte mich ab, und ich vergass den Biker wieder. Später in Narvik, beschloss ich, mitsamt dem Steinpilz, der sicher zwei Kilo wog, in einem Rondell im Stadtpark zu übernachten.

Und dort traf ich auch wieder auf den einsamen Velofahrer. Er hatte das gleiche vor wie ich. Also schlossen wir uns zusammen, assen Steinpilz mit Lachs, und ich erfuhr, dass er Musiker war. Ein Vierteljahrhundert später meldete sich jemand telefonisch im Freitag-Büro – es war der einsame Velofahrer von damals. Er lud mich an sein Konzert ins Hallenstadion ein – dort spielte er mit seiner Band Silbermond…

Aus Alt mach Neu

Das ist nur eine von vielen Geschichten, die ich als Fahrradfahrer erlebte. Die Velo-DNA haben wir in der Familie Freitag im Blut. Es begann schon, als ich und mein 15 Monate älterer Bruder Markus noch Buben waren. Mit Sieben zogen wir von der Forch nach Meilen in ein altes Bauernhaus mit Schopf. Der wurde zu unserer Werkstatt, wo wir unsere eigenen Velos präparierten. Markus und ich zogen immer mit einem Leiterwagen durch Meilen, wenn Alteisensammlung war. Wir sammelten alles mögliche, darunter auch aussortierte Velorahmen und waren permanent am Herumschrauben. So brachten wir alte Velos wieder auf Vordermann, verkauften sie unseren Verwandten und erhielten dann jeweils ein Nötli. Auch das Unternehmer-Gen steckt uns wohl in den Knochen.

Der Zeit voraus

Natürlich bastelten wir auch unsere eigenen Velos, denn Downhill-Bikes gab es damals noch nicht. Stattdessen entfernten wir bei unseren Allegro-Diamantrahmen-Velos alles: Schutzbleche, Kettenschutz, Gepäckträger… Alles musste weg, bis nur noch das Nötigste dran war. Dann sagten wir unseren Eltern «mir gönd go crosse» und gingen in den Wald, wo wir zum Beispiel den Vita-Parcours hinunterfrästen. Wohlgemerkt: Mountain-Bikes wurden auch erst ein paar Jahre später erfunden…

Die Mittwochnachmittage nutzten wir immer, um unsere Velos zu «tunen»: Wir sprayten sie goldig an, umwickelten alle möglichen Stellen mit Schaumstoff, gingen an den See, bauten dort Rampen und befestigten zwei Seile am Velo. Dann sprangen wir im hohen Bogen mit dem gepimpten Bike in den See. Kollegen zogen es wieder heraus. Das war ein Spass!

Mein grösster Traum war damals ein BMX. Wir hatten eines im Film «E.T. – der Ausserirdische» gesehen, und ich wollte unbedingt mein eigenes haben. Ich ging zu einem Velo- und Töffhändler im Dorf, der gute Verbindungen hatte. Er meinte zwar, so ein BMX sei ein fertiger Seich, das habe ja nur einen Gang. Dennoch zeigte er mir einen Katalog, wo ich mir ein mattschwarzes Motobecane-BMX für rund 400 Franken aussuchte. Darauf hatte ich gespart. Das war ein Erlebnis! Wir fuhren damit in einer Kiesgrube herum, und ich erinnere mich noch heute an zahlreiche Stürze. Irgendwann begannen wir, Knieschoner und vielleicht sogar einen Helm zu tragen. Heute läuft das anders.

Früh übt sich

Mir war es als junger Vater wichtig, dass meine Kinder von früh auf mit dem Velo vertraut werden. So wie bei mir damals, als ich im Kindergartenalter mit meinem ersten Velo – mit Rücktritt, aber ohne Stützredli! – auf einem Parkplatz auf der Forch velofahren lernte. Weil es etwas zu gross war und ich damit noch nicht bremsen konnte, fuhr ich immer auf die angrenzende Wiese und liess mich fallen. Es fühlte sich grossartig an! Das Velo war mein «safe spot», mein sicherer Ort.

Auch meinen Kindern kaufte ich Velos ohne Stützräder. Denn mit Stützrädern sitzt man immer schräg auf dem Velo, was zu falschen Muskelerinnerungen führt. Heute können die Kinder dank der spezifisch für sie entwickelten Lauf- und Erstfahrrädern schon sehr früh velofahren. Meine Tochter und mein Sohn lernten es jedenfalls sehr schnell und intuitiv.

Velo gleich Freiheit plus Fahrspass!

Solange ich denken kann, spielten Velos immer eine wesentliche Rolle bei Markus und mir. Als junge Teenager hatten wir unsere ersten Rennvelos. Mit denen fuhren wir regelmässig von Meilen nach Zürich in den Ausgang. Und wenn der letzte Zug schon längst abgefahren war, radelten wir, vermutlich leicht beschwipst, nach Hause, wo wir wieder mit frischem Kopf ankamen. Diese Rennvelos vergrösserten unseren Radius sehr stark.

Das ist etwas, was mich bis heute am Velofahren begeistert: Diese Freiheit verbunden mit grossem Fahrspass! Es gibt eigentlich keine Zeit in meinem Leben, wo ich nicht auf dem Velo unterwegs war. Während meiner Grafikerlehre in Bubikon fuhr ich täglich mit dem Velo hin und zurück – jeweils 32 Kilometer am Tag. Und auch heute bin ich täglich mit dem Velo auf Achse. Sogar, wenn ich auf Geschäftsreisen in Europa unterwegs bin: Dann nehme ich mein Faltrad, packe es in Zürich zusammen, rattere mit dem Zug irgendwohin, steige aus, entfalte es wieder und – in wenigen Minuten bin ich im Laden.

Der Traum vom Freitag-Velo

Was mich ebenso fasziniert an diesem einzigartigen Fortbewegungsmittel ist seine Effizienz! Es gibt da diese berühmte Statistik, in der es darum geht, wie weit man mit einem Kilowatt Energie kommt. Zu Fuss ist der Mensch eigentlich kein besonders guter Energieverwerter. Der Albatros gewinnt. Aber wenn Du uns Zweibeinern zwei Räder in Form eines Fahrrads gibst, dann schaffen wir es direkt zuoberst auf diese Liste! Das Velo ist das reduzierteste Fahrzeug schlechthin. Und dieser Verbindung aus Effizienz und Fahrspass konnte ich mich nie verschliessen. Daraus entstand irgendwann auch die Idee, ein eigenes Velo zu konstruieren. Dazu muss man wissen, dass unsere Freitag-Taschen von Anfang an auch fürs Velofahren und für Velokuriere gedacht waren. Und irgendwann kam die Idee auf, dass wir nicht nur Taschen fürs Velo machen wollten, sondern auch das Velo selbst.

Aus dieser Überlegung heraus entstanden mehrere Velo-Projekte. Ich engagiere mich für unser Monopole-Bike. Ausgangslage war die Frage: Wie sieht eigentlich das ideale Velo für den urbanen Alltag aus? Nicola Stäubli, mein Co-Founder, hat eine rechteckige Rahmengeometrie mit einer markanten Stange entwickelt, welche die beiden Räder verbindet – ergo «mono pole». Es ist ein wendiges Lasten-Bike, auf Wunsch auch elektrifiziert erhältlich. Und es erfüllt eines unserer Hauptanliegen: Man kommt mit 30 Kilo Last mühelos über den Bucheggplatz!

Sicher durch die City

Für mich persönlich ist das genauso wichtig, dass ich mit dem Velo problemlos durch den Stadtverkehr fahren kann. Dazu habe ich mir einen Fahrstil angeeignet, den ich aktiv nenne: Die Herausforderung besteht darin, dass Autofahrende Velofahrer oft nicht wahrnehmen und ihnen dadurch den Raum nehmen. Ein aktiver Fahrstil macht mich sichtbar. Ich nehme Raum ein, bewege mich ins Sichtfeld, gehe auch mal aus dem Sattel, um Tempo zu machen und eine sichere Position im Verkehr zu gewinnen. Gleichzeitig muss man aber auch als Velofahrer rücksichtsvoll fahren. Am Image eines Velo-Rowdys liegt mir gar nichts. Ich kenne auch die Perspektive des Autofahrers, was sehr hilfreich ist.
Im Verkehr überlege ich mir immer, wo macht es Sinn, geduldig zu warten, und wo ist es safe, sodass ich auch einmal vor eine Autokolonne reinfahren kann? Das funktioniert bis heute gut, und ich durchquere Zürich regelmässig – auch mehrmals täglich. Die Stadt ist klein genug dafür.

Ein letzter Vorteil, den ich beim Velofahren sehe: Ich kann die Zeit genau kalkulieren, die ich benötige, um damit von A nach B zu kommen. Mit keinem anderen Fahrzeug ist das möglich. Staus und Verkehrsblockaden sind nie planbar. Aber auf dem Velo kenne ich jede Abkürzung und schaffe mir mein Velonetz selbst.»

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