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Andrew Katumba bleibt gerne in Bewegung

Velofahren im Stadtdschungel hat für Andrew Katumba manchmal etwas Darwinistisches. Für ihn ist das Velo das Sackmasser des Strassenverkehrs, weil es handlich, zuverlässig und flexibel ist.

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«Das Velo ist für mich das Sackmesser des Strassenverkehrs. Kompakter kann ich es nicht sagen. Es ist handlich, flexibel, zuverlässig, funktioniert bei Wind und Wetter, benötigt keinen Parkplatz und bringt mich dahin, wo ich will. Für mich ist das Velo weder Sportgerät noch Hobby oder Lifestyle. Es ist mein Alltag. Mein Mobilitätswerkzeug, quasi mein verlängertes Exoskelett. Ich kann damit arbeiten, Kaffee liefern, pendeln, ja, sogar denken! Es ermöglicht mir Freiheit; das ist vielleicht der wichtigste Faktor. In einer Stadt wie Zürich, die gleichzeitig wunderschön und verkehrstechnisch manchmal ein Dschungel ist, gibt es für mich nichts Besseres als das Velo. Ich weiss immer, wann ich wo ankomme. Die Fahrzeiten sind berechenbar. Und das ist für mich wichtig, denn ich plane meine Tage eng, da wäre das Tram schlicht zu langsam.

Ich mag nicht lange warten, wenn ich am Arbeiten bin. Ich will in Bewegung bleiben. Und genau das kann ich auf zwei Rädern. Auch kenne ich den Rhythmus der Ampeln. So weiss ich, wann ich in die Pedale treten muss und wann ich es lieber kurz rollen lasse. Diese Agilität und Unabhängigkeit – das ist für mich Lebensqualität. Auch wenn mir mein so geschätztes e-Bike erst gerade vor wenigen Tagen gestohlen wurde. Das beschäftigt mich gerade sehr!

Velostart mit Stürzen

Angefangen hat alles mit einem dunkelroten Velo, das viel zu gross für mich war. Ebenso für meinen Zwillingsbruder, mit dem ich das Velo teilen musste. Wir waren noch recht klein, vielleicht um die sechsjährig. Die ersten Velorunden drehten wir auf dem Brupbacherplatz, aber das Teil war so riesig und klobig! Ich verlor das Gleichgewicht, stürzte und holte mir eine Schramme. Damals war es noch nicht die grosse Liebe. Aber es war der Beginn meines Lebens auf zwei Rädern. Der nächste prägende Moment war dann die Veloprüfung. Das war noch was! Mit einem richtigen Polizisten durchs Quartier fahren, Handzeichen geben, sicher um die Kurven kommen.

Veloprüfung im Grossstadtdschungel

Damals hatte man noch Respekt vor der Polizei. Beim Bucheggplatz oben gab’s einen Parcours mit Hindernissen, den wir absolvieren mussten. Ich war richtig stolz, als ich die Prüfung bestand. Aber: Das war keine Vorbereitung auf den Velodschungel, der einen in der Stadt erwartete. Es gab damals ja noch keine Velospuren und nur wenig Sicherheit. Es galt das Gesetz des Stärkeren. Darwinistisch, wie ich es gerne nenne. Ich habe mich mit dem intensiven Verkehr in der City arrangiert, aber für meine Kinder ist es immer noch eine grosse Herausforderung. Meine Tochter hat bis heute Angst vor dem Verkehr, daher geht sie lieber zu Fuss oder nimmt das Tram. Mein Sohn ist mit dem Scooter unterwegs, und auch für ihn ist der Verkehr eine Challenge. Ich kann es ihnen nicht verdenken. Ich hingegen bin 365 Tage im Jahr mit dem Velo unterwegs. Regen, Schnee, Wind, egal.

Wir haben zwar ein Auto für Transporte, aber das rostet mehr oder weniger auf einem Parkplatz vor sich hin. Mein Velopark ist überschaubar: Ein alter Drahtesel, den ich nach dem Diebstahl meines e-Bikes (R.I.P.) reaktiviert habe und das «Coffee Bike». Mehr brauche ich nicht. Ich bin weder Sammler noch Sportfahrer. Velofahren ist kein Hobby von mir, mein Velo ist mein Werkzeug und mein treuer Begleiter. Eben, mein Sackmesser auf zwei Rädern.

Historischer Velomoment in der Stadt

Es ist mein natürlicher Zustand, mich auf zwei Rädern fortzubewegen. Und gerade weil ich kein Büromensch bin, mit einem 9-to-5-Job, bin ich auf Mobilität angewiesen. Als Unternehmer, Politiker und auch sonst engagierter Zeitgenosse ist bei mir immer sehr viel los. Ein besonders einschneidender Moment war kürzlich der Tag, an dem der neue Velotunnel unter dem Hauptbahnhof eröffnet wurde. Das war ein Meilenstein für die Stadt, ein historischer Moment! Damit strich die Stadt ein altes Autobahnprojekt aus den 60er-Jahren aus dem Richtplan und schuf stattdessen eine neue Veloverbindung. Das ist ein echtes Novum im Kanton Zürich.

Und an genau diesem Tag stahl jemand mein Velo! Mein zehnjähriges e-Bike war abgeschlossen, und auch noch mein Velohelm befand sich daran. Einfach weg. Während ich in einer Sitzung sass, wurde es davongetragen. Das ist bitter! Seither bin ich auf Publibikes und Cargovelos ausgewichen, aber das geht ins Geld.

Vorsicht Diebe!

Was ich bei diesem Vorfall nun auch lernte: Man kann einen Velodiebstahl nicht mehr auf einem Polizeiposten melden. Das geht nur noch online über e-Police. Ich hoffe natürlich immer noch, dass mein Bike wieder auftaucht. Aber den GPS-Tracker eines e-Bikes kann man entfernen. Bei neuen Bikes werden diese Tracker im Rahmen verbaut. So können die Diebe sie nicht mehr so einfach loswerden. Vielleicht werden dann weniger Fahrräder geklaut. Aber heute ist es teilweise krass, was da gestohlen wird! Zu grossen Veranstaltungen, wie beispielsweise der Cycle Week, die kürzlich in Zürich über die Bühne ging, kommen organisierte Diebesbanden.

Die wissen, dass bei solchen Events manchmal Velos im Wert von mehreren Tausend Franken herumstehen. Da gibt es dann die Späher, die Ausschau halten nach den lohnenswerten Beuten. Dann kommen die eigentlichen Diebe, die kurzerhand die Schlösser aufschneiden, die Bikes in den mitgebrachten Transporter laden und – schwuppdiwupp – weg sind sie! Ich überlege mir, auf ein Lastenvelo umzusteigen, da sich diese nicht ganz so leicht wegtragen lassen. Und wenn ich mir wieder einen Stromer anschaffe, dann einen, den man mit einer Wegfahrsperre blockieren kann. Zusammen mit einem im Rahmen verbauten GPS-Tracker könnte das für etwas mehr Sicherheit sorgen.

Ein Café auf Rädern

Und dann ist da noch unser Kafivelo – oder Neudeutsch «Coffee Bike». Das gehört zu unserem kleinen Kaffeehandelsgeschäft, das meine Frau Nadja und ich gemeinsam führen. Das Kafivelo ist ein stattliches, elektrisch angetriebenes Gefährt mit einer legendären, italienischen Espresso-Kaffeemaschine drauf, ein Klassiker. Insgesamt ist das Vehikel rund 400 Kilogramm schwer und verfügt über alles, was man als mobiles Café benötigt: Wassertank, Kühlschrank und unser Kaffee, den wir selber aus Uganda importieren und hier rösten lassen. Auch für diese Tätigkeit nutze ich vorwiegend das Velo, beispielsweise, wenn ich die Kaffeebohnen per Lastenvelo von der Rösterei zu uns bringe.

Auf die Idee mit dem Kaffeeausschank kamen wir vor vier Jahren, in der Corona-Zeit. Damals standen die Leute hier im Quartier Schlange vor einer bekannten Gelateria, die gleich bei uns ums Eck liegt. Die Menschen warteten jeweils rund 45 bis 60 Minuten, bis sie ihr Eis kaufen konnten!

Gebastelt und geschraubt, bis es passte

Und wir dachten: Es wäre doch schön, wenn wir ihnen das Warten mit einem feinen Kafi verkürzen könnten. So entstand diese Idee. Und weil ich gerne bastle, schraubte ich so lange am Kafivelo herum, bis alles passte. Seither sind wir an Märkten und Events wie am Brupbi-Märt (Brupbacher-Markt) unterwegs. Ich fahre das Velo meistens selbst. Das ist nichts für Zierliche, denn es erfordert ein wenig Geschick. Wir importieren unseren Kaffee aus Uganda, aus einem Dorf namens Isule. Dort arbeiten wir mit zwei Kooperativen zusammen, die den Preis für ihren Kaffee selbst bestimmen können; so können sie davon leben. Wir setzen auf den Terroir-Gedanken: verschiedene Varietäten, sonnengetrocknet, fermentiert – alles aus derselben Region.

Spannend finde ich: Wenn wir in Uganda unterwegs sind, sehen wir auch dort immer mehr Velos. Der Ökotourismus wird ausgebaut, das bedeutet: mehr Fahrräder. Safaris im Jeep sind out! Die Leute wollen das Land auf andere Weise entdecken. Wenn man auf dem Velo unterwegs ist, erlebt man das Land aus einer ganz anderen Perspektive: auf Augenhöhe mit den Menschen, mittendrin statt durch die Windschutzscheibe.

Sorgen im Verkehr

Was mir in der Stadt beim Veloverkehr Sorgen macht, sind die Signalisationen:  Velolichtsignale sind oft klein, unklar und verwirrlich. Neulich stand ich beim Bahnhof, wollte rechts abbiegen, sah die kleine Ampel, sah ein Abbiegesymbol, aber ich verstand dennoch nicht, wohin ich da hätte abbiegen dürfen. Ich begriff das System nicht. Und wenn selbst ich als erfahrener Velofahrer das nicht verstehe, wie soll das dann jemand tun, der nur gelegentlich fährt? Es bräuchte klarere, digitale Signalisationen. Nicht zwei Ampeln nebeneinander, sondern eine für alle. Wenn schon Velovorzugsrouten, dann bitte auch die Ampeln mit Fokus auf die Zweiräder. Ein Reset mit den ganzen Lichtsignalanlagen wäre wünschenswert.

Meine Leidenschaft fürs Velo rührt auch daher, dass ich früh erkannt habe, wie Fahrradfahren Erinnerungen schafft. Eines meiner prägendsten Erlebnisse in meiner Kindheit waren die Pfadi-Velotouren. Wie zum Beispiel durch die Toskana. Zwei Wochen auf dem Velo unterwegs, viel Flickerei, übernachten im Zelt, Hügel rauf, Hügel runter und Abenteuer en masse. Ein, zwei Jahre später dann eine Pfadi-Velotour durch Holland: zwar keine Hügel, aber dafür Gegenwind ohne Ende! Auch hier immer im Zelt übernachtet und mit Anhänger von Ort zu Ort geradelt. Das hat mich geprägt. Das hat mir gezeigt: Man kann sich etwas zutrauen, auch grosse Herausforderungen kann man schaffen.

Einfach losziehen

Heute würde ich so etwas gerne wiederholen. Unsere Kinder sind bald draussen, mein politisches Amt als Kantonsrat endet im Sommer – dann habe ich wieder mehr Freizeit und bin wieder flexibler. Ich würde gerne mit Nadja eine ausgedehnte Velotour unternehmen, durchs Piemont oder Tirol oder Richtung Südfrankreich. Einfach gemütlich radeln, gutes Essen, unbeschwert sein. Das Nomadische liegt mir. Ich glaube, das wäre wieder so ein echter Velomoment woran man sich später gerne erinnert.»

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